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Pedro Juan Gutiérrez

Pedro Juan Gutiérrez

Titel: Pedro Juan Gutiérrez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schmutzige Havanna Trilogie
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auch gar nicht wissen. Es muss deprimierend sein, so etwas ganz genau zu wissen.
    Sie brachte an allen Türen und Fenstern Gitter und Schlösser an, sogar im Innern, um die Zimmer gegeneinander abzu-schotten. Sie gab Englischunterricht, vor allem Konversations-englisch. Davon lebte sie.
    Als ich einzog, war die alte Dame schon ungefähr achtzig, sehr rüstig, betrieb Sport und hatte genügend Energie, gelegentlich nachts hinunter auf den Malecón zu gehen, irgendeinen riesigen Schwarzen mit Geld zu ködern, ihn mit zu sich hinaufzunehmen, zu vernaschen, ihn zu bezahlen - und Ciao, das war's. Es hieß, sie nahm niemanden ein zweites Mal mit zu sich.
    Nun bin ich zwar kein Kohlrabenschwarzer, eher ein ausgeblichener Mulatte, aber die Alte stellte mir nach. Sie unternahm verschiedene Versuche, wollte mir gratis Englisch-unterricht geben, mit mir Pingpong spielen und Jiu Jitsu trainieren. Als sie erfuhr, dass ich beim Radio gewesen war, ehe die Krise begann und ich in dieses Scheißgebäude ziehen musste, lud sie mich ein, Wagner zu hören. Ich kann mit Wagner nichts anfangen. Sie ging runter auf Mozart. Und dann unterhielt sie mich mit ihren Geschichten als ungarische Emigrantin in New York zu Beginn des Jahrhunderts. Mit sieben sprach sie nur ungarisch. Eines Tages wurde sie in einer Bar, in der sie Tombolalose verkaufen wollte, so gedemütigt, dass sie innerhalb eines Monats Englisch lernte, und kurz darauf hatte sie ihr Ungarisch vollständig vergessen. Sie warf ihre weißen Spitzenkragen weg und änderte ihren Namen. Als junge Frau war sie dann Sympathisantin der Bolschewiken, wurde verfolgt, floh erst nach Mexiko, dann nach Jamaika, und blieb dort eine Zeit lang. Schließlich kam sie so um 1950 nach Kuba. So lautete ihre Version. Sie nannte mir nie ihren Nachnamen (den erfuhr ich erst später durch Ouija). Eines Tages sagte ich zu ihr dummerweise (immer, wenn ich etwas Dummes sage, muss ich die Folgen tragen, aber irgendwie kann ich mir nicht verkneifen, dummes Zeug zu reden, und muss dann dafür büßen), wir sollten mal ein Buch über das Leben schreiben. Es würde bestimmt ein Erfolg werden. Sie warf mich raus und beschimpfte mich fürchterlich.
    »Nein, ich muss mich verstecken. Sie wollen mich umbringen, sie wollen mich umbringen. In meinem Land vergibt mir niemand, Sie Narr. Sie sind auch einer dieser Idioten, raus mit Ihnen. Ich will sie nicht mehr bei mir haben.« Totale Hysterie. Freundlich verabschiedete ich mich: »Ficken Sie sich doch ins Knie, Sie Schlampe! Närrischer und idiotischer als Sie kann man doch nicht sein, Sie alte Negerfotze!«
    Ich ging, und das war's. Nie wieder sprachen wir ein Wort miteinander.
    Die andere Version erfuhr ich nach und nach von einer pensionierten alten Frau, die in einem Raum nebenan wohnte, bis sie starb. Diese Alte hatte viele Jahre für den Geheimdienst gearbeitet, ich glaube bei der Spionage, aber dann gab es irgendeine Unregelmäßigkeit, man erwischte sie und warf sie raus. Sie wusste viele Dinge, von denen andere keine Ahnung hatten. Manchmal gab sie mir Tipps über irgendwelche Millionen-Dollar-Zahlungen, die angeblich an die und die Guerilla geflossen seien, mal von der Brigada America, mal von Carlos, dem Venezolaner, und von diesem und von jenem. Darauf werde ich jetzt nicht weiter eingehen. Noch mehr Scherereien würden mir gerade noch fehlen. Nach Aussage dieser Alten war Kate Nazi und Aufseherin in einem Konzen-trationslager in Deutschland gewesen. Sie floh 1945 nach Amerika, zog eine Weile rum. Als sie zehn Jahre später nach Kuba kam, war das ›Büro zur Unterdrückung kommunistischer Aktivitäten‹ (BRAC) auf dem Höhepunkt seiner Macht. Kate änderte die Daten, um von ihrer Spur abzulenken, aber die alte Polizistin versicherte mir, es sei 1955 gewesen. Keine Spur von Bolschewiki, denn das BRAC hätte sie dem FBI umgehend auf einem Silbertablett serviert.
    Kate war schrecklich. Inzwischen sehr hoch betagt, machte sie es sich zur Gewohnheit, junge Leuten anzuheuern, die ihr helfen sollten. Sie ließ sie bei sich wohnen und setzte unverzüglich ihr Testament auf, setzte sie als Generalerben ein, aber niemand hielt es bei ihr länger als ein paar Wochen aus. Alle verzichteten, weil sie andernfalls die alte Schlampe irgendwann abgemurkst hätten. Ich fand nie heraus, was für Tricks sie anwandte. Und die Abtrünnigen hüllten sich in Schweigen. Wohl aus Stolz. Ich hatte genug damit zu tun, meinen Kopf über Wasser zu halten, und keine Kraft für eine

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