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Pedro Juan Gutiérrez

Pedro Juan Gutiérrez

Titel: Pedro Juan Gutiérrez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schmutzige Havanna Trilogie
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sich.
    Die Krise war hart, drang in die kleinste Ecke der Seele eines jeden. Hunger und Elend sind wie ein Eisberg: Der größte Teil ist auf den ersten Blick nicht zu sehen. »Aber man muss vorsichtig vorgehen, Genösse, darf nicht die Kontrolle verlieren. Nach und nach bringen wir uns in diese komplizierte Welt und die Marktwirtschaft ein, aber ohne unsere Prinzipien aufzugeben... etc.« Scheiß drauf! Die lächerlichen Neunziger! Aber ich war schon dabei, mich von ihnen zu erholen. Ich erholte mich von allem. Und strotzte vor Sex. Mit Luisa entlud ich zwei-, dreimal am Tag. Und das tut dem Geist gut. Du entlädtst deinen Samen so, wie du ihn produzierst, speicherst nicht, und viele Dinge regeln sich ganz von selbst, ohne dass man sich groß sorgen muss. Ich sage immer: ein Mann ohne Frau ist ein völliges Desaster.
    Ich blieb stehen, um mir ein paar Weihnachtsbäumchen anzusehen. Ein paar grüne kleine Tannen. Seit sehr vielen Jahren hatte ich keinen Weihnachtsbaumverkäufer gesehen. Seitdem Weihnachten, Heiligabend, Heilige Drei Könige und all so was gesetzlich verboten worden war. Viele Leute blieben stehen. Die meisten hatten noch nie einen Weihnachtsbaum in ihrem ganzen Scheißleben gesehen. Hinter mir hörte ich einen Schwarzen reden. »Lass mich doch ein bisschen an deinen Titten lutschen, Schätzchen.«
    »Hör mal, du geiler Bock, sieh zu, dass du weiterkommst.« »Komm schon, Süße, ein kleines Tittchen, stell dich nicht so an, die Leute gucken schon.«
    Und so alberten die beiden hin und her. Die Frau war schön, der Mann groß und stark. Beide waren bester Stimmung. Ich mag den Boulevard. Hier finden alle krummen Dinge statt, und manchmal fällt was ab. Ich musste mich beeilen, um zu Carmita zu kommen, da traf ich Panchito. Verdammt, Panchito mit seinem endlosen Geschwätz. Ich versuchte zu entwischen, vergebens. »He, Pedro Juan!«
    »Ich bin in Eile, Kumpel. Wir sprechen uns später.«
    »Nein, warte einen Moment.«
    »Verdammt noch mal, ich habe eine Verabredung.«
    »Ach hör auf, Pedro Juan, tu nicht so wichtig. Komm her. Kennst du jemanden, der Fahrradschläuche verkauft?«
    »Nein. Mit so was habe ich nichts zu tun.«
    »Ich bin abgebrannt. Ohne mein Rad komme ich nicht weiter. Die Busse nach Mantilla sind außer Betrieb, Mann.«
    »Also, ich muss jetzt los, Panchito.«
    »Alles klar, Bruder, bis demnächst.«
    Man musste Panchito das Wort abschneiden, sonst kam er ins Labern bis zum Morgengrauen.
    Schließlich gelangte ich nach Zanja y Dragones. Carmita wohnte in einem breiten Korridor, direkt über der Zeitung Chung Wa, am Eingang zum Chinesenviertel. Es war ein Rattenloch, aber sie hatte es sich ein bisschen zurechtgemacht und war mit ihrem invaliden Vater, der im Rollstuhl saß, eingezogen. Der Raum war heiß und düster mit niedriger Decke und voller Staub. Es war eklig, in einem solchen Schweinestall zu hausen. Aber mir war's egal. Ich habe sie nie gefragt, was aus der herrschaftlichen Familienvilla in der Stadt, in der wir beide geboren wurden, geworden war. Es war ein Palast aus der Jahrhundertwende gewesen, umgeben von Gärten. Ich wollte lieber nicht fragen. Jetzt ruft sie mich immer an, wenn sie einen guten Job für mich hat. An dem Tag sollte ich dort warten, bis man mich zu einer bestimmten Adresse schicken würde, um zwei Bilder abzuholen, eines von Lam, das andere von Portocarrero. Sie hatten auch ein kleines von Picasso, aber das wollten sie noch einige Zeit versteckt halten. Jeder in Havanna hatte von dem Raub des Picasso aus der Villa eines reichen Typen in Miramar gehört. Es war leichtes Spiel: Abrakadabra, gerade waren sie noch da, jetzt sind sie futsch. Ganz leicht, oder?
    Dafür, dass ich den Lam und den Portocarrero von hier nach da brachte, sollte ich hundert Dollar bekommen. In Ordnung. Ich wartete.
    Wir tranken den ganzen Tag lang Rum und aßen Pommes Frites, saßen einfach da, den Rücken gegen die Glaswand am Ende von Carmitas Korridor-Wohnung gelehnt. Die hatte sich Carmita ausgedacht, um Licht hereinzulassen. Nicht schlecht: eine große Wand aus Glas und Holz, sonst alles voll gestopft mit Büchern, Antiquitäten, Porzellan, Elfenbein, Jade, Bronze. Es sah aus wie im Museum. Ein Vermögen wert.
    Aber der Raum hatte etwas Bedrückendes und Trauriges an sich. Ich wusste nicht, was es war, konnte es aber spüren. So saß ich dann den ganzen Tag da, traurig, schwermütig, am liebsten hätte ich geheult. Womöglich lag es am Rum. Dabei bin ich mit Rum normalerweise

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