Pedro Juan Gutiérrez
ihre Irrtümer zur Schau. Na ja, ihre Irrtümer begraben sie, und Ignoranz lässt sich immer verbergen.
»Ihre Tante befindet sich im Endstadium. Sie sollten sie zu Hause behalten. Ihr bleiben noch höchstens zwei Wochen.« Seit zwei Jahren rang die Alte jetzt mit dem Tod, raste vor Schmerzen, hatte immer Blutungen und große Angst zu sterben.
Sie war immer ein Aas gewesen. Aber ich finde, Gott sollte niemanden so bestrafen. Natürlich ist mit Gott darüber nicht zu streiten.
Eine Nachbarin kümmert sich um sie. Ich zahle ihr ein paar Pesos, und sie bemüht sich mehr oder weniger, zu helfen. Es macht mir nichts mehr aus, wenn ich sehe, wie meine Tante vor Schmerz rast und ihr Körper nur noch Haut und Knochen ist. Man gewöhnt sich an alles.
Langsam ging ich hinaus. Samstags fahren nur wenige Busse in Havanna, fast keine. Am besten war, sich keine Sorgen zu machen. Ob die Tante an Krebs starb, ob es fast nichts zu essen gibt, keine Busse, keine Arbeit. Besser, man machte sich keine Sorgen. In der Zeitung war heute auf der Titelseite ein Interview mit einem bedeutenden und wichtigtuerischen Minister. Mit einem Lächeln erklärte das Dickerchen:
»Kuba ist weder Himmel noch Hölle.«
Ich hätte ihn als nächstes gefragt:
»Was ist es dann? Die Vorhölle?«
Aber nein, der Journalist lächelte nur glückselig und machte den Satz zur Schlagzeile.
Ich war entspannt durch viel Sex und im Einklang mit mir selbst. Überhaupt nicht besorgt. Na ja, Sorgen gibt's halt immer, aber im Moment zumindest konnte ich sie ein wenig auf Abstand halten. Ich schob sie in einiger Entfernung vor mir her in die Zukunft. Eine gute Art, sie verschwommen und außer Hörweite zu halten. Ich hatte eine Frau zu Hause, ein paar Kilo zugenommen und war am Leben. Ohne etwas zu tun. Überleben nennt man das, glaube ich. Man lässt sich treiben und erwartet nichts mehr. So einfach ist das. Zwei dicke, fette, hässliche, weiße, rote, sich pellende, langsam schleichende, in sich versunkene, schwabbelige Touristen gingen am Museo Nacional vorbei. Ja, genau so sahen sie aus. Der alte Mann hatte einen Stock und einen riesigen, schweren Koffer. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, was darin sein mochte. Offenbar machten sie an diesem ruhigen, sonnigen Samstagnachmittag einen Spaziergang. Die Frau war genauso entsetzlich wie der Mann. Beide waren gekleidet wie für einen Herbsttag in einer eisigen Stadt am Fjord. Sie schwitzten und schauten sich staunend alles an, vertieften sich in einen Reiseführer und besahen sich das historische Boot, die historischen Flugzeuge unter den historischen Bäumen. Sie kapierten nichts. Der Typ sah mich an. Er hatte einen eingefallenen Mund, als hätte ihm jemand einen sauberen Schlag in die Fresse verpasst. Er starrte mich an. Ich nutzte die Gelegenheit und zog meine glänzenden Drei-Pesos-Münzen hervor, auf die der Kopf von Ché geprägt war.
»Good afternoon. How are you? Do you like a coin? It's a conmemorative coin with Ché Guevara image. Only one Dollar every coin.« »No, shit, youggrrrhttchchssyyye, out! Out!«
Ich verstand nicht, was er da grunzte. Er drohte, mich mit seinem Stock zu schlagen. Solch verbitterte Leute sollten ihr Haus nicht verlassen. Bestimmt verfault ihre Leber, und sie stinken aus dem Mund nach Aas.
»Verpiss dich in die Fotze deiner Mutter, alter Scheißkerl!« Er verstand mich zwar auch nicht, aber immerhin genoss ich es, ihm etwas zu erwidern. Ah, was für widerliche Leute! Glücklicherweise ist nicht alles Scheiße. Ich ging weiter die Trocadero entlang nach Hause und traf ungefähr vor Nummer 162 ein junges Ehepaar mit ihrer kleinen Tochter. Auch sie gingen spazieren. Die Frau war eine ungeheuer hübsche Mulattin mit weißem Rock und gutem Arsch: fest, üppig, mit schönem Ansatz. Eine Mulattin wie sie sorgte stets für Ravage. Nicht nur ihr Arsch, alles an ihr. Ihre Wärme, ihre Sinnlichkeit, der enge Rock, der ihre zimtfarbene Haut unterstrich. Sie gehörte zu den Frauen mit beschwingtem Gang, die wissen, dass sie über allem stehen, und die kolossale Haltung zeigen, sich durchs Leben bewegen, dass alles um sie herum Kopf steht, Zerstörung im Gefolge. Neben ihr ging ihr Mann, ein gut gekleideter, kleiner Schwarzer. Zwischen ihnen lief ihre etwa dreijährige Tochter. Kein Wunder, dass es für Kubaner so schwierig ist, woanders zu leben. Hier hat man zwar ewig Hunger und Probleme, aber die Menschen sind eine andere Sorte. Wie diese Mulattin. Sie mochte ungefähr dreiundzwanzig
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