Pedro Juan Gutiérrez
und jammerten um ihre Druckpresse. Es standen jetzt viele Schaulustige herum. Carmitas Freundin saß auf dem Bordstein und weinte. Ein Polizist nahm die Bilder und das Stück Elfenbein an sich. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was das war, aber es würde schon jemand kommen, der sich mit so etwas auskannte. Es war besser, weiterzugehen. Es herrschte großes Durcheinander, und ich konnte den Polizeikordon unbemerkt verlassen. Niemand hielt mich auf. Ich ging Dragones entlang Richtung Prado. Es war schon fast Mitternacht. Tag des San Lázaro. Ich setzte mich auf eine Bank und betete, er möge mir beistehen, und etwas hallte in meinem Kopf wider. Irgendetwas sagte zu mir immer wieder: »Ich helfe dir, Pilger, ich helfe dir, Pilger.«
Manchmal, eigentlich immer, ist das Beste, sich von seinen Instinkten leiten zu lassen, nicht zu denken. Alles Geplante macht einem im Leben meist nur Scherereien. Mit leerem Kopf stand ich auf und ging Richtung Casablanca. Um vier Uhr morgens fuhr ein Zug nach Matanzas, und ich schlich durch die dunkelsten Straßen, bis ich zur Mole kam. Ich wollte keinem Polizisten begegnen, der mich nach meinem Personalausweis fragen könnte. Eine Stunde lang versteckte ich mich in einem Hauseingang. Dann kam die Barkasse. Ich überquerte die Bucht. In Casablanca kaufte ich eine Fahrkarte und stieg in den Zug. Die Lokomotive war elektrisch, eines dieser alten Hersey-Fabrikate, seit fast fünfzig Jahren im Gebrauch. Daran gekoppelt waren drei Güterwaggons. Man hatte Löcher hineingeschlagen, die als Fenster dienten, siebzig recht kleine, steinharte Plastiksitze in jedem von ihnen installiert ebenso wie eine trübe Glühbirne unter der Decke. Um die Glühbirne herum webten fette Spinnen ihre Netze und fingen die vielen kleinen Motten, die blind um das Licht herumflatterten. Die Spinnen hatten im Überfluss zu fressen. Vielleicht ein etwas eintöniges Mahl, bestimmten sehnten sie sich manchmal danach, eine Fliege auszusaugen.
Punkt vier fuhr der Zug los. Ein Wunder! Es gab tatsächlich noch Pünktliches. Er war fast leer. Aus den Passagieren stach ein blutjunger Stricher mit drei Begleitern heraus. Sie sahen aus wie Freaks oder so was. Vielleicht Ausreißer aus dem Aids-Sanatorium. Dann waren da noch ein kräftiger, schmutziger Schwarzer mit einer Hose aus Jutesack, der San Lázaro ein Gelübde gegeben hatte, und eine fette, halb verrückte Alte, die zwei-, dreimal versuchte, sich mit mir zu unterhalten und mir die Hand auf den Schenkel legte, bis ich mich umsetzte und ihr empfahl, sie solle sich selbst ficken. Die anderen beiden Passagiere waren ein Paar: ein weißes Mädchen von ungefähr fünfzehn mit blond gefärbtem Haar, das irgendwie schmuddelig wirkte und eine Zigarette nach der anderen rauchte. Mit der linken Hand hielt es ein Tuch um den Hals. Ich dachte erst, sie sei operiert worden, bis ich genauer hinsah. Nein. Ihr Hals war voller Knutschflecken und Bisswunden. Neben ihr saß ein riesiger schwarzer Orang-Utan, der den Arm um sie gelegt hatte und sabberte, während er sie unaufhörlich beschnupperte und leckte. Sie genoss es. Von Zeit zu Zeit nahm sie das Tuch ab, zeigte ihm ihren mitgenommenen Hals und sagte schön laut, damit auch alle mitbekamen, welch wilden Ausschwei-fungen sie frönte:
»Sieh nur, was du da getan hast. Das darfst du wirklich nicht wieder tun.«
Ich konnte nicht schlafen. Auf diesen harten Sitzen war das unmöglich. Ich hob vom Boden ein Stück Zeitung auf: Fossilienjäger hatten auf der Insel Wight einen 120 Millionen Jahre alten Fußabdruck eines Dinosauriers gestohlen. Sie mussten vom Festland aus übers Meer segeln, Spezialsägen ansetzen, den Stein zerschneiden und 200 Kilo schwere Steinplatten abschleppen, um diese dann für vierhundert Dollar zu verkaufen. Ich glaube nicht, dass jemand für so wenig Geld so eine harte Arbeit verrichten und so viel riskieren würde. Die Leute langweilen sich. Ein Film über Dinosaurier regt sie an, und ab geht's. Jeder hätte gern einen riesigen Fußabdruck in seinem Garten. Na, jedenfalls war ich mit meinen Bildern und Antiquitäten besser dran. Scheiße, dass jetzt alles im Arsch war.
Langsam zockelte der Zug durch die Nacht. Er konnte nicht schneller als zwanzig, fünfundzwanzig Stundenkilometer fahren, weil sonst die Waggons entgleisten. Ich kam pünktlich in Matanzas an. Morgens um zehn nach acht. Jetzt war ich also mal wieder in meiner Geburtsstadt, mit ihrer geballten Ladung an beschissenen und glücklichen
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