Pedro Juan Gutiérrez
bester Stimmung und ausgelassen. Ich verstand nicht, was mit mir los war. Das entging Carmita nicht.
»Was ist mit dir? Warum bist du so still?«
»Keine Ahnung. Ich bin etwas traurig.«
»Hast du Sorgen?«
»Ich habe immer Sorgen. Daran habe ich mich gewöhnt.«
»Weißt du was, langsam bin ich von etwas überzeugt.«
»Wovon?«
»Dass diese Glasscheiben von Särgen stammen.«
»Ach du Schreck, Carmita! Hast du sie etwa vom Friedhof geholt?«
»Ich glaube an Gott und alle Heiligen. Santería ist Teufels-werk.«
»Das ist nicht gut, Carmita, überhaupt nicht gut. Warum hast du bloß diese Scheiben aufgestellt.«
»Weil es sonst keine Glasscheiben gibt, das weißt du genau. Für keinen Preis. Diese hier hat mir ein Totengräber aus Colón verkauft. Und sie passen gut hierher. Aber vielen Leuten, die sich hierher setzen, passiert dasselbe. Manche heulen sogar.«
»Du hast sie doch nicht alle, verdammt noch mal. So etwas tut man nicht. All diese Toten sind jetzt anwesend. Das spüre ich. Und darum kommst du auch nicht voran. Du musst sie vertreiben, musst dass Zimmer läutern.« »Ich werde sie weder herausnehmen noch irgendetwas läutern, und außerdem glaube ich nichts von dem ganzen Scheiß. Und du mit deinen Santería- Kettenund ildé und deinem roten Taschentuch, entschuldige bitte, aber es ist das Hinterletzte!«
»Beleidige mich bitte nicht. Tu, was du willst.« In dem Moment kam Carmitas Freundin herein. Sie waren seit Jahren ein Paar. Carmita und ich kannten uns von Kindheit an. Wir stammten aus demselben Viertel, gingen auf dieselbe Schule, und ich habe sie immer gemocht. Sie war hübsch und sanft. Dann verlor ich sie aus den Augen. Ich zog aus der Stadt fort, und wir trafen uns in Havanna wieder. Sie war Architektin und entschie-den lesbisch, ziemlich abgemagert, mit einer gewissen Melan-cholie in den Augen. Sie gab ihre Arbeit als Architektin auf und begann mit Antiquitäten und Kunstwerken zu handeln. Sie kannte sich da gut aus. Vor allem kannte sie die Preise eines jeden Stücks und wusste genau, was die Diplomatenarsch-löcher, die den Kram hier kauften, in Europa dafür erzielten. Es ist schon eine Gaudi, Diplomat zu sein. Man genießt Immunität, und die Koffer sind versiegelt. Toll. Es ist, als sagte man zu dir: Mach, was immer dir gefällt, jeder Scheiß ist recht. Denn für dich gibt es weder Gefängnisse noch Polizei oder Fiskus. Du bist Superman.
Carmita und ihre Süße kamen ins Zimmer. Ich saß immer noch da und trank Rum in dieser mit verstaubten Nippes voll gestopften Galerie, trauriger als ein Pinguin im Zuckerrohrfeld. Endlich kam der Anruf für mich. Es war zehn Uhr abends, in der Nacht zu San Lázaro. Carmita hatte für diesen Heiligen einen kleinen Altar mit Blumen geschmückt. Sie wollte, dass ich ihm eine Kerze anzündete. Sie holte auch ihren Vater. Wir standen eine Weile da. Jeder sagte ein Gebet, wohl um die Kerze zu weihen, nehme ich an. Als wir aufblickten, stand die Galerie in Flammen. Alles brannte: die Bücher, die Möbel, die Decke aus Holz und Ziegeln. Das Feuer wütete.
»Himmel, Carmita, ich habe dich gewarnt.«
»Lass mich in Frieden mit deinem Scheiß, Pedro Juan! Hilf mir lieber, die Gemälde hier rauszubringen.« Zusammen schleppten wir drei Bilder von Amelia Peláez, Romanach und Ponce, die hinter den Bücherregalen versteckt waren. Auch ein Stück Elfenbein konnte sie retten. Die Flammen schlugen hoch, und Stücke fielen von der Decke herab. Wir liefen die Treppe hinunter, und ich verbrannte mich ein wenig, aber nicht schlimm. Auf der Straße war schon die Polizei. Von der Feuerwehr keine Spur. Wie versteinert standen wir drei da und sah hinauf zu dem Feuer, das jetzt die gesamte obere Etage erfasst hatte. Es begann in der Galerie und zerstörte sie in nur wenigen Minuten. Wie hypnotisiert schaute ich auf ein blaues Graffito an der Wand:
»Lilliam, sollen's doch ruhig alle wissen, du bist meine Göttin, Erick.« Es wurde vom Rot und Orange des Feuers beleuchtet und wieder verdunkelt. Der laute Befehl eines Polizisten, zurückzutreten, weckte mich aus meiner Trance, und ich trat beiseite. Ein anderer Polizist kam auf uns zu. »Ist noch jemand da drinnen? Jemand verletzt?« Da fiel uns Carmitas Vater ein. Sie schrie auf, ließ Bilder und Elfenbein fallen, lief in das Feuer und rief: »Papa, Papa!« Sie kam nicht wieder heraus.
Schließlich kam die Feuerwehr und brachte das Feuer unter Kontrolle. Die Chinesen von der Zeitung hüpften nervös auf und ab
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