Pedro Juan Gutiérrez
quasselten so viel, dass ich mich an nichts mehr erinnern kann. Ich sagte zu ihm:
»Zur nächsten Lotterie werde ich auch einen Brief einsenden. Vielleicht habe ich Glück.«
Heute habe ich einen Kater. Der Rum war ekelhaft, und mir tut der Kopf weh. Aber trotzdem versuche ich, mein Innenleben zu ordnen. Rein äußerlich gesehen, habe ich keine Probleme. Alle Welt gíaubt, es gebe nur einen einzigen soliden, fähigen, fröhlichen Pedro Juan. Niemand kann sich vorstellen, wie im Innern all die kleinen Pedritos herumtoben und sich balgen und gegenseitig ein Bein stellen. Und alle wollen gleichzeitig ihren Kopf rausstrecken.
Erholung in Havanna
Ich war für ein paar Tage auf dem Land gewesen und schwer bepackt zurückgekommen: Langusten, Rindfleisch und zwölf Liter Rum. Die Polizei durchsuchte den Bus zweimal, und mir saßen zweimal die Eier förmlich in der Kehle. Aber mein ehrliches Gesicht rettet mich immer wieder. Am Busbahnhof musste ich irgendwas mieten, um alles nach Hause zu bekommen. Diese Piraten wollten sechzig Pesos für die kurze Strecke ins Zentrum von Havanna. Immer, wenn ich den Preis drücken wollte, kamen sie mir mit derselben Leier: »Immerhin muss ich zumindest den Benzinpreis heraushaben. Und Benzin ist so teuer...«
Schließlich kam ein sehr schüchterner Mann auf mich zu und bot mir fast verlegen seine Rikscha an, ein Fahrrad mit einem Wägelchen hintendran. Er war sehr mager, also erklärte ich ihm:
»Ich wiege 166 Pfund und diese Kisten hier noch einmal 110. Schaffst du das?«
»Selbstverständlich.«
»Wie viel nimmst du bis San Lázaro Ecke Perseverancia?«
»Fünfundzwanzig Pesos.«
Wir fuhren über Ayestarán, Carlos III, Zanja, Belascoaín, San Lázaro. Immer, wenn ihm ein abschüssiger Abschnitt eine Atempause gab, erzählte er mir sein Leben. Der Typ war Techniker in einer Gießerei gewesen. Als die Krise begann, wurde er arbeitslos.
»Seit fünf Jahren schlage ich mich jetzt auf der Straße durch. Nicht einfach für meine Frau, mein Kind und mich. Und sie ist wieder schwanger. Aber soll sie's behalten. Wo drei satt werden, werden's auch vier.«
Der Bursche trat fest in die Pedale und schwitzte ganz schön. Die Maisonne kann morgens um elf schon ziemlich stechen.
»Bei diesem Job musst du mindestens drei, vier Pfund am Tag abnehmen.«
»Nein, jetzt nicht mehr. Anfangs bin ich ziemlich abgemagert. Aber das ist vorbei. Immerhin rentiert sich der Karren jetzt. Ein paar Pesos bringt er ein. Immerhin reicht's fürs Essen.«
»Na ja, wir alle müssen den Gürtel enger schnallen, mein Freund.«
»Stimmt. Wie lange dieses Elend wohl noch anhält.« Der Mann war nur noch Haut und Knochen. Mehr konnte er gar nicht abmagern. Wir kamen an. Ich bezahlte ihn und überlegte, ob ich ihm fünf Pesos Trinkgeld lassen sollte. Nein, mir gab auch niemand ein Trinkgeld. Im Gegenteil, jeder feilschte über die Preise für das Fleisch, den Rum und die Langusten. So wünschte ich ihm nur Glück und Ciao. Vor dem Gebäude parkte ein luxuriöser schwarzer Havanautos.
Ich ging direkt hinauf in mein Zimmer. Die Langusten und das Fleisch legte ich in den Kühlschrank. Dann machte ich mir Kaffee und setzte mich, um auszuruhen. Die dicke Alte nebenan fing an zu schreien. Die Nerven schienen mit ihr durchzugehen, weil es seit vier Tagen kein fließendes Wasser gab. Weder im Haus noch in der Umgebung. Nirgends war auch nur ein Eimer Wasser aufzutreiben. Und die Alte schrie. Plötzlich kam sie, sich hysterisch die Haare raufend, hinaus auf die Terrasse gestürmt.
»Holt mir Wasser, verdammt noch mal! Bringt mir von irgendwoher Wasser! Verfluchte Scheiße!« Ein Sohn und eine Tochter versuchten sie zurückzuhalten. »Sei still, Mama, sei endlich still!«
Alle kamen aus ihren Zimmern gelaufen, um Prudencias Anfall nicht zu versäumen. Ein alter Schwarzer brachte sie schließlich wieder zur Beherrschung, indem er ihr mit einem Zweig eins überzog und dabei etwas murmelte, was niemand verstand. Prudencia brach zusammen, und ich dachte, sie hätte die Besinnung verloren. Der alte Mann zog ihr nochmals mit dem Zweig eins über. Das brachte sie wieder zu sich. Man setzte sie auf einen Stuhl. Ich wollte ihr erst einen Kaffee bringen, hielt mich dann aber zurück. Niemand nimmt hier in der Wohnung eines anderen etwas zu sich. Alle haben panische Angst vor Hexerei - und zu Recht. Ich bin neu hier im Gebäude, und die Leute haben kein Vertrauen zu mir. Ich habe auch kein Vertrauen zu den Leuten. Der
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