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Pedro Juan Gutiérrez

Pedro Juan Gutiérrez

Titel: Pedro Juan Gutiérrez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schmutzige Havanna Trilogie
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auf. Ihre Kinder und Enkel waren alles, was sie hatte. Na, jedenfalls ging alles gut mit Rosaura. Alles sehr frei, sehr fröhlich, ach wie nett. Aber eines Morgens kam ein Doktor in ihr Krankenzimmer, schwitzend und durstig, und öffnete den Kühlschrank und nahm Rosauras Glas mit Eiswasser heraus und trank. Als Rosaura das sah, entrüstete sie sich.
    »Hey, du Schwein, was trinkst du da aus meinem Glas? Gib es sofort her!«
    Und sie versuchte es ihm wegzunehmen. Der Arzt fand sich sehr lustig und spuckte etwas Wasser nach ihr - direkt aus seinem Mund in ihr Gesicht. Keine so gute Idee. Rosaura wurde noch wütender und gab ihm eine Ohrfeige. Der Doktor dachte, sie wolle spielen, aber Rosaura war außer sich vor Wut. Der Doktor war Karatekämpfer. Er ließ das Glas fallen und nahm sie in den Schwitzkasten. Es kam zum Gerangel. Rosaura fiel auf rittlings auf den Hintern und brach sich die Wirbelsäule. Da entdeckte man, dass sie unter Osteoporose litt. Man operierte sie und legte sie vom Nacken bis zum Steiß in Gips.
    Als ihre Brüder die Geschichte hörten, nahmen sie zwei große Schlachtermesser und suchten den Arzt im ganzen Kranken-haus. Der Kerl war rechtzeitig entkommen, versteckte sich, und man rief die Polizei. Die beiden Schwarzen wurden ins Gefängnis gesteckt. Rosaura klagte den Arzt und einen anderen, der ihn deckte, an. Sie mussten ihre Arbeit aufgeben und durften nie wieder praktizieren. »Ich sitze jetzt auf dem Rücken des Esels, und ich werde ihn bis zum Ende prügeln«, teilte mir Rosaura mit. Aber jetzt waren ihre Beine gelähmt. Ein Knochensplitter hatte sich ins Rückenmark gebohrt. Vermutlich wird sie für immer an den Rollstuhl gekettet sein. Die alte Frau wollte das Ihre dazu beitragen. »Meine hübscheste Tochter ein Krüppel und meine beiden Söhne im Gefängnis. Dieser Schweinehund wird dafür büßen. Er wird für alles bezahlen, was er angerichtet hat. Pedro Juan, bring mir etwas von dem Mann. Ein Hemd, ein Taschentuch, irgend etwas. Jetzt mach ich ihn zum Krüppel. Ich werde seine Knochen verfluchen, verdammt, er wird es bereuen, geboren zu sein. Nicht eher werde ich ruhen, als bis ich ihn in einem Rollstuhl gesehen habe. Du besorgst mir etwas von ihm, mein Sohn, egal was, klau ihm etwas, das seinen Schweiß trägt, und bring es her, damit ich ein für alle Mal mit ihm Schluss machen kann. Los, an die Arbeit, du bist jetzt der Mann im Haus!«
    Verdammte Scheiße, wo doch die Dinge gerade so gut zu laufen schienen. Warum, zum Teufel, habe ich mich mit dieser Mulattin überhaupt je einlassen müssen?

 
     
Zweifel, viele Zweifel
     
    Die Armut wurde verheerend. Täglich neue Katastrophen, und jeder versuchte auf alle erdenkliche Weise, von hier wegzukommen, irgendwohin. Wie in einer Massenhysterie. Carlitos, geboren und aufgewachsen im Chaos, rief seine Mutter und seinen Bruder jeden Tag weinend an. Es ging ihm nicht gut in Miami, und er konnte nicht schlafen. Sein American Dream hatte sich nicht erfüllt. Er verpulverte ein Vermögen in Telefongesprächen und konnte seine Energie und sein Interesse auf nichts Konkretes konzentrieren. Es gelang ihm einfach nicht. Er trug in sich die Verzweiflung des Chaos. Sein Herz war noch von Gitterstäben umgeben. Zu der Zeit schlief ich hin und wieder mit seiner Schwester. Sie war Ärztin, las Bécquer und hatte ein Schwäche für mexikanische Telenovelas und die Gedichte mit spirituellen Weisheiten von Benedetti, die sie für mich auf einem Rezeptblock abschrieb und mich dann damit überhäufte, damit ich etwas über Poesie lernte. Sie bot sich an, mich in Ästhetik zu unterrichten. Sie war von meinem schlechten Geschmack überzeugt, seit sie in einem Winkel meiner Wohnung die Gedichte zur Bekämpfung des Haarausfalls von Nicanor Parra gefunden hatte.
    Sie sagte Dinge wie »Liebe machen«, »wir können glücklich sein«, »ich lüge nie« und anderes in der Art. Sie lebte in großer Verwirrung. Das geschieht oft. Zu viele Leute um einen rum verwirren. Dann setzt das Ziehen und Zerren ein zwischen dem, was man sollte, und dem, was man könnte, und dem, was man will. Und dem, was man nicht sollte, und dem, was man nicht könnte, und dem, was man nicht will. Sie hatte Schwindelanfälle, weil sie dauernd Beruhigungspillen schluckte, hatte dreimal versucht, sich umzubringen, und diese Absicht lauerte auch weiter latent in ihrem Innern. Sie widmete viel Zeit einem Psychologen, der sich bemühte, sie mit allem und trotz allem auszusöhnen. Na, jedenfalls

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