Pedro Juan Gutiérrez
war die Ärztin nicht sonderlich vertrauenswürdig, und mein Sex und meine Liebe hielten nur kurz an. »Ein Abgrund aus Missverständnissen trennte die schöne junge Frau und den distinguierten, älteren Lebemann«, könnte es in einem Roman von Torín Cellado heißen. Übrigens zählte ich einmal nach und stellte fest, dass ich in den letzten fünf Jahren mit zweiundzwanzig Frauen sexuelle Beziehungen gehabt hatte. Das war kaum ein idealer Durchschnitt für einen fünfundvierzigjährigen Mann. Ich bedauerte zwar nichts, machte mir aber Sorgen. Nicht um mein Innenleben, sondern um Aids. Ich würde mir in den Arsch beißen, wenn ich sterben müsste, ehe meine Stunde geschlagen hätte, nur weil ich meinen Schwanz ins falsche Loch gesteckt hatte.
Na, Promiskuität hin oder her, ich müsste weitermachen. Mit dem Härterwerden, natürlich. Die Leute fanden, ich würde jetzt reifer. Aber nein. Ich versuchte nur, härter und stärker zu werden und nicht mehr zuzulassen, dass man mich manipulierte. Jeder für sich, so gut er kann. Ich müsste das bisschen Liebe, das mir innerlich verblieben war, gut dosieren, um zu vermeiden, dass der Tank auf Null sank und die gesamte Maschine zum Erliegen brachte. Ich gab die Hoffnung nicht auf, an einem Ort noch einmal aufzutanken, utopischer Spinner, der ich war. Gefickt, aber noch immer von etwas Schönem in meinem Innersten träumend, das mich auffüllen würde, damit ich wieder der großzügige, gute Liebhaber sein konnte wie zuvor. Bist du ein Idiot?, fragte ich mich manchmal. Ein andermal war ich ganz entspannt und sagte mir: Ja, das ist möglich. So also lagen die Dinge. Ich machte mir Sorgen um mein Älterwerden und die damit traditionell verbundene Einsamkeit der Alten und all das. Doch dann kamen nach und nach immer mehr Frauen, die sagten:
»Oh, was für ein herrlich reifer Mann du bist. Wunderbar. Ich will hier mit dir leben, und dann tun wir dies und das.« Und ich dachte, oje, von wegen reifer Mann. Wenn die wüssten, würden sie schreiend das Weite suchen und nie auch nur wieder in meine Nähe kommen.
So blieb ich weiter allein mit meinen fünfundvierzig Jahren. Und jeden Tag wurde es besser und einfacher für mich. Die ersten Verbrennungen sind die schmerzhaftesten, dann wird das Fell dicker, sagt mein Freund Hank. Ab Vierzig wird alles viel einfacher. Zumindest sieht man alles klarer. Ich hatte einige Schlussfolgerungen gezogen. He, he. »Einige Schlussfolge-rungen« - was für ein Quatsch! Sollte irgendjemand auf der Welt dazu imstande sein? Na, was ich jedenfalls meine, ist, dass ich langsam etwas verstand, was so alt ist wie die Menschheit selbst, was man aber immer wieder neu lernen muss: Das Leitprinzip des Armen ist, denjenigen zu lieben, der Geld hat und ein paar Krümel abgibt. Das Leitprinzip des Sklaven ist, seinen Herrn zu lieben und zu bewundern. So einfach. Der Arme oder der Sklave, ganz egal, kann seine Moralität nicht allzu sehr strapazieren und seinen Stolz nicht allzu hoch halten, wenn er nicht verhungern will. »Wenn er mir ein bisschen abgibt, reicht das, und ich liebe ihn«, das ist alles. Frauen verstehen dies im allgemeinen von klein auf und akzeptieren es. Aber wir Männer komplizieren uns das Leben ein bisschen mehr durch unser Rebellentum, die Einhaltung von Prinzipien und all so was. Am Ende verstehen auch wir, nur viel später.
Dieser ausgeprägte Selbsterhaltungstrieb ist eine Seite der Armut. Aber die Armut hat viele Gesichter. Ihr vielleicht offenkundigstes ist, dass sie dich jeder großmütigen Gesinnung beraubt, zumindest jeder Großzügigkeit, und dich zu einem bösartigen, elenden, berechnenden Wesen macht. Die einzige Notwendigkeit ist die, zu überleben. Und zum Teufel mit Großzügigkeit, Solidarität, Freundlichkeit und Pazifismus.
Mitten in meine Zweifel platzte Alejandro, ein alter Freund von mir, angetrunken und fröhlich. Man hatte ihm gerade mitgeteilt, dass er in der Lotterie ein Visum für die USA gewonnen hatte. Der Kerl war völlig aus dem Häuschen. Alle seine Freundinnen wollten ihn heiraten. Sie boten ihm Geld, damit er sie ehelichte und mitnahm. Aber er wollte nicht. »Die Einzige, die ich mitnehmen will, ist meine Mutter. Wenn diese Arschlöcher von der Botschaft ihr ein Visum ausstellen. Ich kann die alte Dame doch nicht allein lassen.« Ich holte eine Flasche Rum, und wir tranken. Wir tranken viel an dem Abend, während Alejandro laut plante, was er in Miami alles tun und was er alles nicht tun wollte. Wir
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