Pedro Juan Gutiérrez
dreihundert Pfund wog, jedes Jahr in einem anderen Land Urlaub machte, ein hübsches Häuschen mit einer Abzugshaube in der Küche besaß und Arbeiter in einer Fabrik für Kriegsflugzeuge und Raketen war. Hier war er immer nervös und depressiv gewesen. Er trank dauernd Lindenblütentee, denn er fand nur Zerfall und Schmutz und große Armut vor, und war doch inzwischen daran gewöhnt, dass alles hübsch, sauber und licht war.
Das alles erzählte mir Zulema in einem Atemzug. Sie pries ihren Arbeiter-Neffen, seine dreihundert Pfund und seine Abzugshaube.
»O wie gut ist es ihm ergangen, Pedro Juan.«
»Ja, wirklich. Spricht er noch spanisch oder nur noch schwedisch oder was?«
»Was weiß ich! Darum geht's auch gar nicht. Wie dick er nur geworden ist! Er sagt, er isst täglich ein Steak. Ah, was für ein Glück er doch hat! Wen, zum Teufel, schert's, ob er spanisch spricht oder chinesisch! Oder überhaupt nicht. Immerhin isst er gut und besitzt ein Häuschen. Hier war er nichts als Haut und Knochen.«
»Hmmm.«
»Ich bin ziemlich traurig, denn er hat so lange bei mir gewohnt. Er war mein Lieblingsneffe. Nach seiner Arbeit in Varadero kam er stets hierher, denn die Streitereien mit dem Vater waren fürchterlich. Er war immer sehr unbändig. Du hättest sehen sollen, was für Grimassen er hinter dem Rücken der alten Kanadierin schnitt. Ich verstand gar nichts, denn sie sprachen englisch miteinander, aber er schnitt Grimassen und machte sich hinter ihrem Rücken über sie lustig, und die Alte verstand überhaupt nicht, was ich so lustig fand. Als er sie zum ersten Mal mitbrachte und sie mir vorstellte, sagte er: ›Tante, dieses antike Möbel ist eine alte Hexe, aber sie hat Geld, und ich werde mit ihr gehen.‹ Er sagte es auf spanisch, und die Alte verstand kein Wort. Er ist sehr schlau. Davor war er mit einer Peruanerin zusammen, mit einer Mexikanerin und was weiß ich wem noch. Viele Frauen. Aber er sagte zu mir: ›Tante, die sind noch schlimmer dran als ich. Zum Teufel sollen sie sich scheren, mich interessieren keine Romanzen, ich will eine mit Geld.‹ Und so blieb er drei Jahre in Varadero, bis er schließlich eine fand, die die Mühe wert war. Er wusste, was er wollte. Er hat Charakter und lässt sich nicht unterkriegen.« »Schön, dann fehlt jetzt nur noch das Visum für dich.« »Ja. So Gott will und sein Heimweh anhält, wird er mich noch in diesem Jahr zu sich nehmen. Du hast keine Ahnung, was für eine Kraft mein kleiner Liebling hat. Er ist belastbarer als ein Traktor.«
»Na fein. Ich muss jetzt Schluss machen, ich habe zu tun.«
»Du hast zu tun? Wem willst du denn etwas vormachen, alter Junge? Du hast doch alle Zeit der Welt! Komm später rüber. Ich habe eine Neuigkeit für dich: Ich musste diesen Trunkenbold von Seemann hinauswerfen. Der Scheißkerl war ständig besoffen und rauchte zwei Päckchen Zigaretten am Tag. Nicht einen Centavo für die Milch für das Kind. Er vögelt hervorragend, und ich mag ihn sehr und alles, was du willst, aber so geht das nicht, denn ich kann in keinen Laden gehen und sagen, gebt mir alles umsonst, denn mein Mann ist ein toller Typ und wir lieben uns viermal am Tag, aber er ist auch ein Versager und Säufer. Nein. Denn man würde mir antworten: ›Na schön, dann vögelt ruhig weiter viermal am Tag, aber hier gibt's nichts umsonst!‹ Das geht auf keinen Fall. Man muss hart bleiben. Wie gesagt, ich habe ihn hinausgeworfen. Ich glaube, er hat geweint, als er ging. Was weiß ich. Ich wollte ihn nicht einmal ansehen. Komm später rüber, Schätzchen, um ein bisschen zu reden. Du kannst auch hier bleiben, wenn du willst.«
»Und er kommt bestimmt nicht zurück?«
»Nein, ich habe ihm den Schlüssel abgenommen. Wenn er zurückkommen sollte, ist er ganz schön dreist, und ich werfe ihn wieder hinaus. Komm heute Abend.«
»In Ordnung, okay, ruf nicht mehr an. Ich komme später vorbei. Ciao.«
»Ciao, mein Süßer.«
Ich dachte überhaupt nicht daran, zu ihr zu gehen, ehe sich der Alkohol- und Tabakdunst des Seemanns nicht verzogen hatte. Wenn man von dem leben muss, was andere beim Essen übrig gelassen haben, sollte man immerhin darauf achten, dass keine Spucke daran klebt.
Ich ging wieder hoch, und da saß Anisia auf dem Boden und sah sich ein Pornoheft an, das sie unter meinen Papieren gefunden hatte. Ich setzte mich zu ihr.
»He, hast du in meinen Papieren gewühlt?«
»Ich habe deine Papiere nicht angefasst. Das Heft guckte vor, und ich habe es einfach
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