Peeling und Poker (Aargauer Kriminalromane) (German Edition)
Sie es genau wissen wollen, mein Hass auf Truninger war längst nicht mehr gross genug, um jemanden für einen Mord anzuheuern.“
Das Lächeln war nicht aus ihrem Gesicht verschwunden, aber es wurde kalt, eiskalt. „Ich verstehe sehr genau, was Sie mir unterstellen wollen. Sie glauben, dass ich Frau Senn dazu angestiftet habe, Truninger zu töten. Vermutlich bin ich in Ihrer Vorstellung auch dafür verantwortlich, dass sie sich das Leben genommen hat und deshalb nicht mehr gegen mich aussagen kann. Als Laie können Sie nicht wissen, dass Ihre wilde Hypothese absolut keinen Bezug zur psychotherapeutischen Realität hat. Der geringste Versuch, eine Patientin so zu beeinflussen, würde mich sofort meine Zulassung als Ärztin kosten – und das wäre Truninger nicht wert, tot oder lebendig.“
Sie stand auf, nahm ihren Mantel und ging zur Tür. „Ihre Verdächtigungen und falschen Beschuldigungen behalten Sie besser für sich, Herr Baumgarten.“ Wieder dieses kalte Lächeln, als sie die Tür öffnete. „Falls meine Vorgesetzten davon erfahren, könnte es für Sie sehr unangenehm werden.“
Fragt sich, für wen es unangenehm wird, dachte Nick und seufzte. Er hatte überhaupt nichts Verwertbares erfahren ausser der Tatsache, dass Frau Doktor Viktoria Fischer eine kühle, berechnende Schauspielerin war, die sich sehr sorgfältig auf ihre Rolle vorbereitet und ihren Text perfekt auswendig gelernt hatte.
Mittwoch, 21. November 2007
Um viertel nach zehn Uhr begannen die Glocken der Stadtkirche zu läuten. Es war nicht nur der graue, neblige Tag, der die Passanten in der Altstadt melancholisch stimmte: die Melodie der Glocken verkündete den Tod. Vor der grossen Abdankungshalle hinter dem Obergericht standen die Trauergäste in kleinen Gruppen beieinander und unterhielten sich leise. Allmählich bewegten sich die Menschen Richtung Eingang und fanden schweigend einen Platz, während aus den Lautsprechern der typische Gitarrensound von Mark Knopfler erklang. Nick Baumgarten erkannte die Titelmelodie aus dem Film Local Hero und war erleichtert, dass Maggie Truninger nicht auf den üblichen Albinoni zurückgegriffen hatte. Auch ein Pfarrer war weit und breit nicht zu sehen, sondern es war Andrew Ehrlicher, der aufstand und zu den Leuten sprach.
„Liebe Freunde, wir sind zusammengekommen, um von Tom Truninger Abschied zu nehmen.“ Neben ihm stand auf einer Staffelei ein grosses, in Gold gerahmtes Foto des Toten, eingefasst mit einem schwarzen Band und umgeben von wunderschönen Kränzen mit weissen Lilien und Rosen. „Er musste die Welt so plötzlich und auf so brutale Art und Weise verlassen, dass wir es alle nicht fassen können. Die Frage nach dem Warum werden wir unser ganzes Leben mit uns tragen, die Sinnlosigkeit lässt uns keinen Trost finden. Tom glaubte nicht an ein besseres Leben nach dem Tod, die Kirche und ihre Versprechungen auf ein Wiedersehen im Jenseits waren ihm immer suspekt. Deshalb müssen wir ihn schweren Herzens ziehen lassen ins Nichts.“ Andrew rang sichtlich um Fassung und fuhr erst nach einer längeren Pause weiter. „Wir wollen uns jetzt daran erinnern, wir wir ihn im Leben kannten und was er uns bedeutete.“
Ehrlicher setzte sich wieder in die erste Reihe, und ein grosser, etwas schwerfälliger Mann mit schütterem Haar stellte sich ans Rednerpult.
„Kennst du ihn?“ flüsterte Nick.
„Ich glaube, er ist der Präsident der Casino-Holding“, antwortete Marina leise, „er hielt an der Eröffnung eine Ansprache.“
„Les jeux sont faits, rien ne va plus.“ Der Satz hing in der Luft, der Redner liess ihn wirken. „Wie leicht sagen wir dies am Spieltisch, und wie schwer fällt es uns, wenn es um Leben und Tod geht. Als ich Tom Truninger zum ersten Mal traf, wusste ich noch nicht, wie erfolgreich er werden würde. Ich erkannte, das er Talent hatte und entschied mich intuitiv, ihm in meiner Firma einen Platz zu geben, egal welchen. Das war vor gut fünfzehn Jahren, und ich habe meinen Entschluss keine Sekunde bereut.“
Mit kräftiger Stimme zeichnete der Mann die Laufbahn von Truninger nach, erzählte von Sitzungen, in denen die Fetzen flogen, von ausgelassenen Firmenfesten mit Tom als Mittelpunkt, von der Loyalität seines Mitarbeiters. Auch die Schattenseiten liess er nicht unerwähnt: dass der Führungsstil von Truninger nicht immer alle begeisterte, dass er unberechenbar sein konnte, manchmal unangemessen reagierte. „So wie wir alle unsere Fehler haben, war auch Tom
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