Peeling und Poker (Aargauer Kriminalromane) (German Edition)
kochen?“ fragte Nick und hielt den 96er Cissac hoch.
„Zum Kochen ist er zu schade, sogar für einen cru bourgeois“, antwortete Marina und streckte Nick ihr Glas entgegen. Sie trug schwarze Jeans und einen langen, flauschigen Pullover in warmen Herbstfarben, der perfekt zu ihren rotbraunen Haaren passte.
„Wie gut kanntest du Truninger eigentlich?“ Er machte es sich auf dem Sofa bequem.
Sie schmiegte sich in seinen Arm und legte ihre Füsse hoch.
„Was willst du denn wissen?“
„Erzähl einfach, dann kann ich mir vielleicht ein Bild machen. Er ist für mich bisher nicht greifbar, und wir suchen immer noch nach einem Bruch in seiner Persönlichkeit, oder in seiner Vergangenheit.“
„Damals zeigte er einen schüchternen Charme, der unwiderstehlich war. Anderseits konnte er laut und deutlich aufbegehren, wenn er sich ungerecht behandelt fühlte.“
Marina erinnerte sich an einen Professor, der Truninger für eine Seminararbeit eine mässige Note erteilt hatte, obwohl dieser der Ansicht war, sein Essay sei brillant geschrieben und sogar wert, gedruckt zu werden.
„Tom rastete beinahe aus, schimpfte und fluchte, demolierte ein paar Teller und konnte nur mit Mühe davon abgehalten werden, zum Haus des Professors zu fahren und seinen Geräteschuppen anzuzünden. Jugendlicher Leichtsinn“, seufzte Marina, „wir waren alle gleich damals. Etwas zu jung für die 68er Revolution, aber beseelt von ähnlichen Ideen. Im Rückblick motivierte uns natürlich etwas anderes: wir wollten nach Elternhaus und Schule endlich selbst an die Macht kommen, das Sagen haben, Noten verteilen, frei sein von Zwängen, unabhängig von elterlichen Geldquellen. Wie trügerisch diese Freiheit war, wussten wir damals alle nicht.“
Marina atmete tief ein und Nick spürte, dass sie mit ihren Gedanken weit weg war.
„Fühlst du dich denn heute nicht frei? Du bist immerhin die Chefin eines erfolgreichen Unternehmens und hast niemanden, der dir sagt wo es langgehen soll.“ Genüsslich nippte Nick an seinem dunkelroten Wein.
„Andere Zwänge sind an die Stelle der alten getreten. Ich trage die Verantwortung für meine Angestellten, muss den Kundenwünschen entgegenkommen, und auch die kantonalen Vorschriften werden immer mehr, mal abgesehen von der Steuerbelastung – aber dieses Lied kennst du ja, und schliesslich bezahle ich mit meinen Steuern deinen Lohn“, lächelte Marina.
„Und ganz persönlich, Marina, fühlst du dich frei?“ Nick war plötzlich ernst.
Marina schaute ihn lange an. Wohin steuerte er mit dieser Frage? „Mit dir, meinst du?“
„Ja.“ Leise.
„Du engst mich nicht ein, und ich fühle mich nicht wie in einem Käfig“, sagte sie und stand auf, um das Geschirr in die Spülmaschine zu füllen. „Wir verbringen dann Zeit miteinander, wenn wir beide Lust dazu haben, und das ist doch genau das Richtige für uns beide, bei unseren Berufen.“
Schon wieder ist sie ausgewichen, dachte er. Ich will mehr von dieser Frau als nur zwei Abende pro Woche, viel mehr. Aber sie spürte es jedes Mal, wenn er das Thema ansprechen wollte – heute würde es wieder nichts werden.
„Macht es dir etwas aus, heute Nacht in deinem eigenen Bett zu schlafen, Nick? Ich bin sehr müde und habe morgen einen vollen Terminkalender.“
„Kein Problem, Liebste, bei mir ist es ähnlich. Kriege ich einen Gutenachtkuss?“ Er schloss sie zärtlich in seine Arme und hielt sie lange fest. „Schlaf gut, mein Schatz.“
Marina schloss die Türe hinter ihm, räumte die Gläser weg und ging ins Bad. Rausgeschmissen habe ich ihn, dachte sie, aber warum muss er immer wieder unsere Beziehung ansprechen? Sie liebte ihre Freiheit zu sehr, als dass sie einfach so mit einem Mann zusammenziehen und sich damit in eine Abhängigkeit begeben würde. Lieber jede zweite Nacht allein schlafen als sich ausliefern – sie kannte den Schmerz des Verlassenwerdens, und sie wehrte sich gegen den Wunsch des Sichgehenlassens. Soll er warten, und wenn er nicht warten kann, soll er gehen.
Oktober 2007
„Wie geht es Ihnen heute, Frau Senn? Sie sehen besser aus als vor vier Tagen, Sie haben mehr Farbe im Gesicht“, sagte Doktor Viktoria Fischer, als ihre Patientin im Stuhl gegenüber Platz genommen hatte.
„Ach wissen Sie, ich schaue schon lange nicht mehr in den Spiegel. Es ist mir egal, wie ich aussehe, es interessiert sowieso niemanden“, seufzte Sybille mit weinerlicher Stimme.
„War das früher anders?“
„Blöde Frage – natürlich war
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