Peeling und Poker (Aargauer Kriminalromane) (German Edition)
das früher anders!“ brach es unvermittelt aus Sybille heraus. „Eine Direktionssekretärin muss gepflegt sein, sich angemessen kleiden und überhaupt gut aussehen. Kostüm, Seidenbluse, Strümpfe, Makeup – ohne ging ich nie aus dem Haus. So unmöglich angezogen wie Sie, in Jeans und Pullover, hätte ich nie einen Kunden empfangen. Sind Sie überhaupt qualifiziert für diese Therapie? Haben Sie einen Doktortitel?“
Sybille richtete sich auf und ihre Stimme wurde lauter.
Gut so, dachte Viktoria und machte sich eine Notiz. Nach Wochen des Selbstmitleids und allgemeinen Elends kommt sie aus ihrem Schneckenhaus und beginnt Aggressionen zu entwickeln: ein Zeichen dafür, dass die Medikamente wirken. Geduldig antwortete sie auf die herausfordernden Fragen. „Ja, Frau Senn, ich habe doktoriert. Nach meinem Medizinstudium habe ich mich auf die Behandlung von Patientinnen und Patienten in seelischer Notlage spezialisiert.“
„Es gibt nämlich in der Psychiatrie hauptsächlich Scharlatane, das weiss jeder“, fuhr Sybille fort, als ob sie Viktoria gar nicht gehört hätte. „Diese Typen reden viel, verdienen einen Haufen Geld und helfen tun sie niemandem, im Gegenteil. Sie sind so wie die meisten Manager auch. Nur heisse Luft und hohle Theorie, und von Menschen haben sie keine Ahnung.“
„Sie scheinen schlechte Erfahrungen gemacht zu haben mit dieser Art von Leuten, Frau Senn.“
„Ja natürlich, was glauben Sie denn, Sie Ahnungslose? Truninger war auch so einer. Jahrelang war ich gut genug für die Firma, und dann plötzlich schmeisst er mich raus, wegen Indiskretion und mangelnder Leistung, einfach so!“ Sybille war erregt, sie stand auf und begann, zwischen dem Fenster und der Türe auf und ab zu gehen.
Truninger? Viktoria blieb angespannt aber ruhig in ihrem Sessel sitzen und bat Sybille, weiter zu erzählen.
„Bis Truninger kam, hatte man mich gebraucht in der Firma, ich wurde überall dort eingesetzt wo jemand ausfiel, zum Beispiel in der Buchhaltung, oder in der Rechtsabteilung, am Empfang oder bei wichtigen Sitzungen. Ich kannte alle Mitarbeiter, wusste über alles Bescheid und konnte dem Direktor immer wieder wichtige Hinweise geben. Alle mochten mich, erzählten mir ihre Sorgen und freuten sich, wenn ich ihnen zuhörte. Ich war jemand, bis dieser, dieser ...“ Sie zitterte am ganzen Leib. „Umbringen könnte ich ihn, und vorher foltern!“
„Ruhig, Frau Senn, ganz ruhig. Was hat er Ihnen denn getan?“
Aber Sybille liess sich nicht beruhigen. Sie schrie, dass er ihr von Anfang an nicht vertraut, sie nicht wahrgenommen habe, dass er sie der Indiskretion beschuldigt und ihr ständig kleinste Fehler vorgeworfen habe. Plötzlich packte sie die Blumenvase auf Viktorias Schreibtisch und schmiss sie auf den Boden. Sie hätte noch weiteren Schaden angerichtet, wenn Viktoria nicht nach einem Pfleger geklingelt hätte, der Sybille packte und auf einem Sessel festhielt. Viktoria gab ihr eine Beruhigungsspritze, und schlagartig entwich die Energie; Sybille war ein Häufchen Elend, als der Pfleger sie schliesslich auf ihr Zimmer führte.
Viktoria öffnete das Fenster und holte tief Atem. Der Geruch von nassem Laub strömte vom Park in ihr Arbeitszimmer, und die Kälte tat ihr gut. Sie trank ein grosses Glas Wasser in einem Zug aus – ein Whisky wäre besser gewesen, aber sie hatte noch zu tun. Sie wählte die interne Nummer des Oberarztes und sagte: „Stephan, ich hatte gerade eine ziemlich aufwühlende Sitzung mit Sybille Senn. Ich musste ihr eine Spritze geben, sonst hätte sie in ihrer Wut mein Büro völlig zertrümmert. Kannst du sie in den nächsten achtundvierzig Stunden gut überwachen, bitte? – Ja, ich habe zwei Tage frei. – Nein, suizidgefährdet ist sie im Moment eher nicht, ihre Aggression richtet sich gegen aussen. Ach, übrigens, weisst du zufällig, wo sie zuletzt gearbeitet hat? – Im Grand Casino in Aarau. Danke, ciao.“
Also doch.
*
„Ihre Haut ist etwas blass und an verschiedenen Stellen entzündet, Frau Fuchs. Ich werde nur ein ganz sanftes Peeling machen und Ihnen danach eine revitalisierende Maske auftragen, ist das für Sie in Ordnung?“
„Gerne, Marina, Sie wissen am besten, was zu tun ist. Ich freue mich vor allem auf die Entspannung, wie immer. Der Stress im Büro wirkt sich offensichtlich nicht nur auf den Schlaf, sondern auch auf die Haut aus.“
Und schon klingelte ihr Handy in der Handtasche; instinktiv wollte sie danach greifen, aber Marina hielt sie auf
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