Peetz, Monika
würde. Die
Kreditkrise hatte ihre Branche hart getroffen: Vielerorts waren die Umsätze
eingebrochen, eine Reihe von wichtigen italienischen Abnehmern in Konkurs
gegangen, Wohnzeitschriften, die zuverlässig ihre Produkte angepriesen hatten,
wurden eingestellt. In Zeiten, wo feste Kräfte durch billige Praktikanten
ersetzt wurden, war es kein gutes Zeichen, wenn man den Sohn des Chefs und
designierten Firmenleiter auf dem eigenen Arbeitsplatz einarbeiten sollte.
Kiki malte
sich aus, was auf sie zukam. Sie hatte viele Praktikanten kommen und die
meisten gehen sehen. Es gab die Schüchternen, die vor Ehrfurcht verstummten,
die Schleimer, die alles taten, solange der Chef es ihnen persönlich auftrug,
und die Karrieristen, deren Ego und soziale Kompetenz im Ellenbogen saß. Und es
gab die Guten, die ihr gefährlich werden konnten, weil ihre Entwürfe frisch,
innovativ und sexy waren. Zu welcher Gruppe würde Max gehören?
Auf den
ersten Blick wirkte Max wie einer der Ehrfürchtigen. Man vergaß, dass er da
war, so zurückhaltend war er bei den ersten Zusammenkünften. Bis zur
Brainstorming-Session über die Umgestaltung eines mondänen Hotels in
Bahnhofsnähe. Thalberg wollte Vorschläge von allen Mitarbeitern.
Im Team
nahmen sie das Briefing durch. Die Kollegen beugten sich über Zielpublikum und
Altersstruktur, über Marketinganalysen und neueste Untersuchungen zu Farbwirkungen
und Trends in der Hotelbranche. Ein Kollege schraubte sich dazu hoch, das
plüschige Foyer verbal einzureißen und mit gradlinigen hellen Entwürfen neu
einzurichten, als Musik erklang.
Max war
aufgestanden und hatte eine CD in den Computer eingelegt. »Man muss erst einmal
ein Gefühl für die Räume entwickeln, bevor man alles in Schutt und Asche legt«,
entschuldigte er sich ohne jede Verlegenheit.
Statt
grauer Theorie durchwehte eine kleine melancholische Melodie das Studio. Ein
Kontrabass im Hintergrund, davor hüpften federleichte Klaviertöne. Ein Kollege
tippte auf die Uhr, die Praktikanten stießen sich kichernd unter dem
Arbeitstisch an. Wäre Max nicht der Sohn des Chefs, sie alle hätten eine
deutliche Meinung über diese Art der Zeitverschwendung und würden sie auch
äußern.
Kiki
versank in der Musik. Das Lied klang nach nassem Pflaster, nach einsamer Nacht.
Es klang nach einer Frau, die nach einer durchtanzten Nacht barfuß durch die
Lobby des Hotels schwebte, in der Hand ihre High Heels schwenkte und an der Bar
einen letzten Drink bestellte. Die Melodie war melancholisch und trotzdem
sonderbar heiter.
Verblüfft
blickte Kiki von ihrem Stapel Papier auf Vierzehn Tage hatte sie Seite an
Seite mit Max gearbeitet, ohne dass er ihr wirklich aufgefallen war. Erst jetzt
nahm sie wahr, dass aus dem unproportionierten Jungen ein ansehnlicher Mann
geworden war, der sich betont lässig kleidete, als wolle er klarstellen, dass
er mit dem Geld seiner Großeltern und den teuren Maßhemden seines Vaters nichts
am Hut hatte. Man merkte seiner Haltung an, dass er das von der Mutter
verordnete Cello längst in die Ecke gestellt hatte und stattdessen Sport
trieb. Gefühl für Musik hatte er immer noch.
Kiki
verstand, was Max mit der Musik ausdrücken wollte. Das Lied fing sehr genau die
altertümliche Atmosphäre ein, die das Hotel einzigartig machte. Wollte man das
wirklich alles wegfegen? Es war ein wortloses Plädoyer, bei der Umgestaltung
auf dem morbiden und geheimnisvollen Charme aufzubauen, den das Hotel
ausstrahlte.
»Was war
das für ein Lied?«, fragte sie, als die letzten Töne im Raum verhallt waren und
der letzte Praktikant an den eigenen Computer zurückgekehrt war.
»Schwedischer
Jazz«, erklärte Max. »Ein Überbleibsel des Sommers.«
Kiki
brauchte keine weiteren Erläuterungen: Es waren die unglücklichen
Urlaubslieben, die sich in Musik materialisierten. Davon konnte sie auch ein
Lied singen. Eins von den Poppys zum Beispiel.
Als sie an
demselben Abend auf YouTube »Jan Johansson - Visa Frän Utanmyra« suchte und
das Lied ein zweites Mal hörte, war ihr klar, warum die Frau in der nächtlichen
Hotelhalle so fröhlich war: Vermutlich hatte sie auf der Party, die sie gerade
eben verlassen hatte, einen Seelenverwandten getroffen.
Kiki
lächelte bei den Erinnerungen stumm vor sich hin, bis sie bemerkte, dass
Caroline, die auf dem Pilgerweg neben ihr marschierte, sie aufmerksam
beobachtete. Sie sagte nichts. Kiki fühlte sich trotzdem genötigt, eine
Erklärung abzugeben: »Ja, ich wusste, wie alt er ist, als es
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