Peetz, Monika
von der
Liebe haben? In jeder Frauenzeitschrift las man, dass feste Beziehungen entsetzliche
Nebenwirkungen hatten wie Tennissocken unter dem Sofa, offene Zahnpastatuben
und sexuelle Monotonie. Wie sollte man einen Mann attraktiv finden, den man bei
der hingebungsvollen Reinigung der Zahnzwischenräume oder dem Schneiden der
Zehennägel beobachten durfte. Es war kein Wunder, dass alle romantischen
Komödien damit aufhörten, dass das verliebte Paar sich in die Arme fällt und
Sätze murmelte wie: »Bis dass der Tod uns scheidet.« Das, was danach kam, ließ
sich mit dem Wort »Beziehungsarbeit« zusammenfassen. Kiki war Weltmeisterin im
Anfangen. Fürs Durchhalten war sie nicht geschaffen.
»Liebst du
Max?«, fragte Caroline vorsichtig nach.
Kiki
antwortete ausweichend. Caroline verstand nicht, worum es wirklich ging.
»Wenn der
Thalberg mich rausschmeißt, bekomme ich nie wieder einen Job. Wer soll mich
einstellen? Mit vierzig bist du steinalt und viel zu teuer. Du müsstest unsere
Praktikanten sehen. Seit der Kreditkrise machen die im Handumdrehen Karriere
und kosten Thalberg ganze dreihundert Euro im Monat.«
»Liebst du
ihn?«, insistierte Caroline.
Kiki wagte
einen Blick zu Max, der in geringem Abstand hinter ihr pilgerte und ihr keck
zuzwinkerte. Kiki trieb es die Röte ins Gesicht. Caroline grinste.
»Nein.
Natürlich nicht«, wies Kiki jeden Verdacht von sich. »Ich liebe ihn nicht.«
Sie war
froh, dass das Telefon von Caroline klingelte und dem Gespräch ein jähes Ende
bereitete. Wer von beiden war erleichterter? Kiki, die von Carolines
unbestechlicher Hellsichtigkeit erlöst war, oder Caroline, auf deren
Handydisplay der richtige Name aufleuchtete.
»Philipp.
Endlich!«
38
»Aua. Aua.
Aua!«, fluchte Estelle. Jeder Schritt war eine Qual. Es waren nicht die Füße,
die Estelle peinigten. Zu ihrer eigenen Verblüffung hatte sie zu einem
Rhythmus gefunden, der sich mühelos und richtig anfühlte. Das permanente Laufen
war zum Normalzustand geworden. Sie brauchte nur ein wenig Unterhaltung. Für
Estelle war das gleichbedeutend mit einem Gesprächspartner.
»Mit mir
alleine ist es so langweilig«, bekannte sie und begrüßte jeden Pilger,
Wanderer oder Urlauber, der ihren Weg kreuzte und zu erkennen gab, dass er der
deutschen Sprache mächtig war. Mit manch einem teilte sie über Stunden die
Strecke.
Estelle
liebte Lebensgeschichten. Besonders fasziniert war sie von dem grau melierten
Exminister, der pilgerte, weil er nach zwei Legislaturperioden nicht nur von
seiner Partei, sondern auch von seiner Familie abgewählt worden war. »Ich war
acht Jahre nicht zu Hause. Nicht einmal der Hund erkannte, dass ich zum Rudel
gehöre«, beklagte er sich. Leider verlor sie den Minister bei einer
Essenspause.
Stattdessen
traf sie in dem 8-á-Huit-Dorfladen, wo man sich auch zu später Stunde etwas zu
essen und zu trinken kaufen konnte, den Schadensreferenten einer Versicherung,
der eine Auszeit von den Schicksalen seiner unglücklichen Klienten genommen
hatte. In seinem Schlepptau Hanna, eine frisch geschiedene Friseuse, die klare
Vorstellungen davon hatte, was sie vom Pilgern erwartete: Sie wollte entweder
Gott oder einen neuen Mann treffen. So wie sie von den Herren der Schöpfung
schwärmte, war das für Hanna in etwa dasselbe. Estelle bedauerte, dass sie nie
erfahren würde, ob aus den beiden was geworden war. An einer Weggabelung waren
sie spurlos verschwunden. Am häufigsten traf man jedoch Lehrerehepaare aus
Rheinland-Pfalz, die gerade Ferien hatten. Sie waren allesamt in den späten
Fünfzigern, unterrichteten Deutsch und Erdkunde und trugen Klorollen und
Computerausdrucke mit kunstgeschichtlichen Hinweisen bei sich. Man traf sich,
führte ein, zwei Kilometer sehr persönliche Gespräche und trennte sich mit
einem lapidaren »Einen schönen Tag noch«.
»Ich bin
der einzige Pilger, der nicht an einer fundamentalen Lebenskrise leidet«,
konstatierte Estelle nach ein paar Tagen. Sie hatte nicht mal die kleinste
Ehekrise aufzuweisen. Ihr Mann hatte viele Qualitäten. Er konnte Geld verdienen,
Gemälde erwerben, auf-, ab- und umhängen, überflüssig gewordene Dübellöcher
zukleistern, das neue Auto einparken und Frühstück ans Bett bringen. Und er
lachte über ihre Witze. Was wollte sie mehr?
»Vielleicht
macht Pilgern deswegen glücklich, weil man merkt, dass es anderen viel
schlechter geht«, mutmaßte sie.
Es war
nicht die Schau auf ihr eigenes Leben, es war nicht das Pilgern, das sie in
Weitere Kostenlose Bücher