Peetz, Monika
verwies unter Tränen auf die Drogenkarriere des Exfreundes und
aggressive Gläubiger, die ihr gedroht hatten. Keiner der Polizisten glaubte an
die Unschuld der Frau. Und dementsprechend benahmen sie sich bei der
Spurensicherung.
Im Prozess
bewies Caroline Schritt für Schritt, dass die Beweise unrechtmäßig erlangt,
manipuliert und hingebogen waren. Es war ein Freispruch zweiter Klasse, »aus
Mangeln an Beweisen«, und Caroline wurde zur Zielscheibe übelster Presseartikel.
Sie tat sich schwer zu erklären, dass die Beweisbarkeit einer Straftat die
Archillesferse einer demokratischen Rechtsordnung war. Es fiel ihr schwer, weil
Nele Bauer sie in tiefe Zweifel stürzte, ob sie auf der richtigen Seite des
Rechts stand. Als sie nach Hause kam und Josephine ihre Ärmchen um sie schlang,
brach sie in Tränen aus.
Jeder
Strafverteidiger kennt diesen Moment, in dem man zum ersten Mal jemandem zur
Freiheit verhilft, den man privat für schuldig hält. Stefanie Bauer markierte
ihr erstes Mal. Ohne Philipp wäre sie verrückt geworden. Wie hätte er ihre
Verzweiflung verstehen können, wenn sie nicht erzählt hätte: von Neles
Verletzungen, von dem mageren Körper und davon, wie emotionslos Stefanie
wirkte, wenn sie über die Tochter sprach. Philipp trug das Verfahren mit. Er
hatte alle Zeit dafür, denn der erste negative Artikel, der sich mit Caroline
beschäftigte und der Frage, ob man ein Monster verteidigen dürfe, fegte sein
Wartezimmer leer.
Der
ungesühnte Mordfall Nele Bauer blieb eine offene Wunde in ihrer Biografie. Ihre
eigenen Kinder waren erwachsen und gingen beruflich eigene Wege. Josephine
trat in die Fußstapfen des Vaters und studierte Medizin, Vincent unterhielt
einen florierenden Webshop, in dem er T- und Sweatshirts vermarktete. Seine
Modelle waren gefragt. Neles Leben dagegen endete mit zwei Jahren. Sie hatte
nie eine Zukunft gehabt.
Nach der
Beerdigung von Arne war Caroline an ihrem Grab gewesen. Es hatte sie beruhigt,
dass die letzte Ruhestätte von Nele auch nach so vielen Jahren liebevoll
gepflegt wurde. Caroline war sich sicher, dass die frischen Frühlingsblumen
und der neue Teddy nicht von Stefanie Bauer stammten.
Das
Bizarre war, dass Nele ihrer Karriere den entscheidenden Kick gab. Sie war
kaum dreißig und die bekannteste Strafverteidigerin in Köln. Am Ende waren es
die hämischen Artikel, die sie verleiteten, weiterzumachen. Mit jedem
Schmähartikel wuchs ihr innerer Widerstand. Wenn man dem wütenden Mob, der sie
mit Drohungen überzog und die Praxis ihres Mannes boykottierte, die
Rechtsprechung überließ, war das der Anfang vom Ende des Rechtssystems. Ihre
Ehe hatte den Sturm überlebt, genau wie die Praxis. Und jetzt kam ihr Philipp
mit seiner Schweigepflicht.
»Was ist
los mit dir?«, fragte sie entgeistert.
»Du siehst
Gespenster«, antwortete Philipp. »Du hast zu viele Kriminelle um dich rum, die
dir Lügen auftischen.«
Wie oft
hatte Caroline sich das auf den letzten Kilometern vorgesagt. Das ungute Gefühl
im Magen blieb: »Irgendwas stimmt nicht mit Arnes Tagebuch.«
»Und wenn
schon. Was geht es dich an?«, hakte ihr Mann das Thema ab.
»Judith
ist meine Freundin. Ich will ihr helfen.«
»Arne ist
tot«, erinnerte Philipp Caroline. »Lass die alten Geschichten ruhen, Line.«
Es machte
sie rasend, wenn Philipp sie Line nannte. Das tat er nur, wenn er vergessen
hatte, ihre Sachen rechtzeitig von der Reinigung abzuholen, obwohl er es hoch
und heilig versprochen hatte, wenn er sich zum Notdienst einteilen ließ, obwohl
er wusste, dass Tante Gertrude an diesem Tag ihren Geburtstag feierte: In
solchen Situationen nannte er sie Line.
»Wenn du
etwas weißt, musst du es mir verraten«, insistierte Caroline.
Seine
Antwort ging im allgemeinen Geräuschpegel unter, der Philipp umgab. Da waren
Stimmen und Musik.
»Was sagst
du? Da ist so viel Krach. Wo bist du eigentlich? Ich versuche seit Tagen, dich
zu erreichen. Philipp! Philipp?«
Abgerissen,
die Verbindung. Caroline legte auf, wählte hektisch die Nummer. Besetzt.
»Komisch,
Telefonleitungen brechen immer dann zusammen, wenn man was mit einem Mann
besprechen will.«
Caroline
fuhr herum. Estelle stand an einen Baum gelehnt. Sie machte nicht den
geringsten Hehl daraus, dass sie gelauscht hatte.
»Glaubst
du wirklich, dass Philipp das Geheimnis von Arne kennt?«, erkundigte sie sich
ungeniert.
Caroline
zuckte die Achseln. Es musste einen triftigen Grund geben, warum Philipp sich
ihr gegenüber auf die Schweigepflicht
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