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Peetz, Monika

Peetz, Monika

Titel: Peetz, Monika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Dienstagsfrauen
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Reihe von Tagen, um zu erkennen,
dass die wichtigsten Dinge, die sie nötig hatte, um es nach Lourdes zu
schaffen, nicht in ihren Koffer passten: Geduld, Durchhaltevermögen und blasenfreie
Hände.
    Sich
einfach von den Dingen trennen konnte und mochte sie nicht. Die Arbeiterinnen
auf dem Feld kamen ihr gerade recht. Die beiden Frauen sahen ungläubig zu, wie
Estelle erst den Koffer, dann sich selbst über den Zaun hievte. Wäre vor ihren
Augen ein Ufo gelandet, hätten sie kaum verwunderter aus der Wäsche geguckt.
    Hatte sich
Caroline noch durch das Sprachengewirr manövrieren können, setzte Estelle auf
die Tat. Sie drückte den Frauen all das in die Hände, was sie glaubte,
entbehren zu können. Lebewohl Insektenstift, auf Wiedersehen Augenmaske und
Make-up. Tschüss, du blöder Koffer. Bei ihrem konsequenten Alles-muss-raus
stieß sie unweigerlich auf die Papiere mit den Informationen über die
Restaurants der Gegend. Nein, so weit runtergekommen war sie noch nicht. Sie
hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, dass Pilgern nicht nur Darben und Entbehrung
war. Vielleicht konnte sie die Freundinnen überzeugen, dass eine feudale Mahlzeit
in einem exklusiven Restaurant eine Art Gottesdienst war. Auch wenn man dafür
einen Umweg in Kauf nehmen musste.
    Skeptisch
begutachteten die Feldarbeiterinnen Tiegel und Tuben, Cremes und Augenmaske.
Ganz offensichtlich hielten sie Estelle für eine Avon-Beraterin, die mit ihrem
Musterkoffer durch die Provinz tingelte. Es bedurfte hektischen
Gestikulierens, bis sie erkannten, dass sie alles behalten durften. Gratis. Und
ohne weitere Kaufverpflichtung. Die Arbeiterinnen bekreuzigten sich. Sie hatten
nicht damit gerechnet, dass der Lohn Gottes sich so unmittelbar materialisierte.
Die Botschaft Mariens, Gläubige erst in einer anderen Welt glücklich zu machen,
erwies sich an diesem Tag als leere Drohung.
     
    Estelle
beeilte sich, so schnell wie möglich aufzuschließen zu den Freundinnen, als sie
undeutlich die Stimme von Caroline hörte. Einzelne Worte flogen an ihr Ohr:
Arne. Touren. Sprechstunde. Der Rest wurde vom Wind davongetragen. Estelle war
dankbar für ihre Opferbereitschaft. Das Geräusch der Rollen, die über den
unebenen Boden hüpften, hätte ihre Anwesenheit längst verraten. Estelles Fuß
schwebte über dem steinigen Untergrund, berührte vorsichtig den Boden. Kein Stein
sollte ins Rollen kommen, bevor sie nahe genug war.
    Caroline
hatte sich auf einem Baumstumpf niedergelassen. Sie telefonierte. Mit Philipp.
Es ging um etwas, was Estelle viel mehr interessierte als die Lebensgeschichten
zufälliger Wandergesellen. Es ging um Arne.
     
    39
     
    »Ich habe
eine Schweigepflicht. Das weißt du doch«, tönte Philipps Stimme verärgert aus
dem Hörer. Caroline konnte es nicht fassen. Tausendmal hatte sie das Argument
im Berufsleben gehört. Von Ärzten, die sie zu einer Aussage bewegen wollte, von
gegnerischen Anwälten, von Priestern. Aber nicht von ihrem eigenen Mann.
Endlich hatte sie Philipp erreicht, und jetzt berief er sich auf die
gesetzliche Geheimhaltungspflicht.
    »Das ist
nicht dein Ernst«, empörte sich Caroline.
    »Das war
ein Witz«, schwächte Philipp ab. »Ich kann dir nichts erzählen, weil ich nichts
weiß.«
    Seine
Ausflucht klang wie eine glatte Lüge. Wenn Philipp taktierte und manövrierte,
tat er es schlecht. Das Gespräch mit Philipp entwickelte sich zum Desaster.
    »Philipp.
Tu nicht so. Sonst erzählst du auch von Patienten.«
    Der Umgang
mit der Schweigepflicht wurde am Abendbrottisch nie allzu streng gesehen.
Manchmal musste man reden, obwohl es gegen jede Regel war. Vor allem am Anfang
ihrer Karriere brauchte Caroline jemanden, mit dem sie die Geschehnisse des
Tages teilen konnte. Sie redete, als sie zum ersten Mal mit Leichenfotos
konfrontiert war und sich heimlich übergeben musste, sie redete, als ein Klient
mit dem Messer auf sie losging, sie redete, als sie zur Pflichtverteidigerin
im Fall Nele Bauer berufen wurde. Nele war zwei. Genauso alt wie Josephine
damals. Und sie war tot. Polizeibeamte hatten das Mädchen in seinem Gitterbett
gefunden. Getötet durch acht Messerstiche. Neles Mutter Stefanie hatte selbst
die Polizei gerufen. Obwohl sie einen Überfall meldete, war sie von der
allerersten Sekunde an die Haupttatverdächtige. Caroline glaubte nicht an die
Version vom großen Unbekannten, der sich als Pizzabote getarnt Zugang zu der
Wohnung verschafft und unvermittelt auf das kleine Mädchen eingestochen haben
sollte. Stefanie

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