Peetz, Monika
aufgeregt. Ihr Französisch war gebrochen und unverständlich. In
Gerichtsakten wurden Menschen wie sie gerne mit dem fürchterlichen Wort
»Migrationshintergrund« umschrieben. Die beiden Frauen mit
Migrationshintergrund fuchtelten so aufgeregt mit ihren Armen, dass Caroline
und Kiki, die dicht beieinanderliefen, intuitiv schlossen, dass sich mindestens
ein wild gewordener Bär näherte, der bereit war, sie als Mittagsmahlzeit zu
akzeptieren.
Ohne zu
verstehen, was vor sich ging, retteten Caroline und Kiki sich mit einem
beherzten Sprung über das Gatter des Zauns, der den Weg vom Feld trennte. Nur
um festzustellen, dass die Geschichte der Kommunikation zwischen fremden
Kulturen eine Geschichte voller Missverständnisse ist. Es gab keine Gefahr. Im
Gegenteil: Die Arbeiterinnen wollten ihnen um jeden Preis etwas Gutes tun. Sie
glaubten offensichtlich, alle Jakobspilger seien mittellos und auf Almosen
angewiesen, und ließen es sich nicht nehmen, ihnen wort- und gestenreich ihre
Verpflegung aufzudrängen.
Die
Dienstagsfrauen hatten bereits im letzten Dorf gegessen. Bei der Backstation
eines Intermarche-Supermarktes hatten sie mit Käse überbackene Riesensandwichs
genossen, die unter dem Namen »croque monsieur« firmierten. Doch das ließen die
Arbeiterinnen nicht gelten. Sofern Caroline den gebrochenen und
dialektgefärbten Sprachfetzen etwas entnehmen konnte, lief es darauf hinaus,
dass die beiden der tiefen Überzeugung waren, dass Pilgern zu helfen kaum weniger
heilsbringend war, als sich selbst auf den Weg zu einer heiligen Stätte zu
machen. Gott merkte sich gute Taten. Ob die Pilger tatsächlich erschöpft,
hungrig und hilfsbedürftig waren, spielte in der Gedankenwelt der
Feldarbeiterinnen eine untergeordnete Rolle.
Es half
nichts. Nachdem sich die Backstation in Portet d'Aspet bereits als
kulinarischer Sanierungsfall herausgestellt hatte, mussten sie nun in den
sauren Apfel (um nichts anderes handelte es sich bei der angebotenen
Verpflegung) beißen. Die Feldarbeiterinnen bekreuzigten sich befriedigt. Und
Caroline und Kiki zogen ihrer Wege. Jeder Schritt ein Abenteuer.
37
Das
vereinte Knabbern am Apfel hinderte Caroline nicht, auf das Thema
zurückzukommen, das sie seit Tagen beschäftigte. »Was ich bei der Sache mit Max
nicht verstehe ...«
»Du hörst
wohl nie auf zu fragen. Du solltest Anwältin werden«, lachte Kiki.
Caroline
ließ sich davon nicht beirren. »Seit Jahren suchst du was Festes«, entgegnete
sie.
Kiki fiel
ihr sofort ins Wort. »Was glaubst du, was passiert, wenn Max mich meinem Chef
als Schwiegertochter präsentiert?«
Caroline
war da ganz nüchtern: »Er kalkuliert, wie groß der Altersunterschied ist.«
»Er feuert
mich«, korrigierte Kiki.
Die
Anwältin hatte ihren eigenen Blick auf den Sachverhalt: »Unzucht mit
Abhängigen? Zieht nicht. Max ist eindeutig volljährig.«
Kiki war
nicht zum Spaßen zumute. Sie wusste, dass die Freundinnen ihren
Männerverschleiß kritisch beäugten. Dabei war sie kein bisschen unmoralisch.
Sie war nur keine Theoretikerin. Das war wie beim Entwerfen. Manche Kollegen
hatten das fertige Produkt vor Augen. Nicht so Kiki. Sie musste zeichnen,
ausprobieren, sie musste Dinge sehen, das Material in ihren Händen wiegen. Kiki
musste spüren, bevor sie denken und entscheiden konnte. Wie sollte sie wissen, ob
sie jemanden liebte, wenn sie nicht ausprobierte, wie die Beziehung sich
anfühlte? Liebe, das war kein Gefühl, das auf einen niederprasselte. Für Kiki
war das ein Verb. Lieben war etwas, was man tun und testen musste. Das war wie
bei Künsten und Berufen: Niemand wird ein guter Konditor, bloß weil er sich
jeden Tag am Schaufenster die Nase plattdrückt, ohne die süßen Köstlichkeiten
zu probieren.
»Du liebst
nach der heuristischen Methode von trial und error. Du probierst systematisch
alle Männer durch und hoffst, dass der Wahre dabei ist.«
Versuch
und Irrtum kannte Kiki. Damit hatte sie ausführlich Bekanntschaft gemacht.
Aber was war heuristisch?
»Das ist
die Kunst, mit begrenztem Wissen und wenig Zeit zu einer guten Lösung zu
kommen«, erklärte Caroline.
Damit
konnte Kiki etwas anfangen. Sie wusste nichts, und die Zeit rannte ihr davon.
»Wieso immer ich?«, beklagte sie sich. »Wenn ich mal einen Mann kennenlerne,
ist er bestimmt verheiratet, karrieregeil oder ein notorischer Fremdgänger. Und
jetzt falle ich auf einen Teenie rein.«
Es war sowieso
albern: Wie konnte man mit Mitte dreißig romantische Vorstellungen
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