Peetz, Monika
an.
Während
draußen slowenische Einwandererbären und wild gewordene Jäger lauerten, war sie
in Sicherheit. Neugierig sah sie auf den Mann auf dem Fahrersitz. Genau wie sie
selbst war er nicht mehr jung, und er war noch nicht alt. Das Leben hatte sich
in unzähligen Linien in sein Gesicht eingeschrieben. Man ahnte Wind, Wetter
und Widrigkeiten, die Jacques durchstanden hatte. Sie spürte seinen
Oberschenkel, die Wärme, die er ausstrahlte. Es hätte nicht viel gefehlt und
Eva hätte ihren Kopf an seine starke Schulter gelehnt. Bevor sie die kecke Tat
ausführen konnte, bremste das Gefährt mit heiserem Quietschen vor einem
imposanten grauen Steinbau mit industrieller Ausstrahlung. Die drei Etagen der
Auberge de la Paix waren direkt in den felsigen Hügel gebaut und überblickten
einen kleinen Olivenhain. Die ausladenden Kronen der Bäume, die in dem kargen
Steinboden wurzelten, erzählten von jahrhundertealter Tradition und harter
Arbeit. An der Eingangstür prangte das verwitterte Bild einer Friedenstaube mit
einem Olivenzweig im Schnabel.
»Früher
wurden hier Oliven zerkleinert, gemahlen und gepresst. Als meine Eltern das
Grundstück in den Sechzigern kauften, war die Mühle eine Ruine. Sie träumten
von einer Begegnungsstätte für die Jugend der Welt. Daher der pathetische
Name. Und die Schlafsäle«, erklärte Jacques.
Eine
Jugendherberge? Mit Schlafsälen? Zur Völkerverständigung? Um Gottes willen.
Warum hatte sie sich nicht genauer erkundigt, in was für eine Unterkunft sie
die Freundinnen lockte? Sie hatten bereits ein paar unbequeme Nächte hinter
sich und verdienten wahrlich etwas Besseres als eine Gemeinschaftsunterkunft,
die auf ein jugendliches Publikum ausgerichtet war. Dass man hier die ganze
Nacht Party machen konnte, ohne dass ein Nachbar sich gestört fühlte, würde die
Dienstagsfrauen kaum begeistern.
Kritisch
sah sie sich um: Wäsche trocknete im Garten, ein leerer Vogelbauer baumelte im
Gebälk, in den Holzbohlen nagte der Wurm und webten die Spinnen unermüdlich
ihre Netze. Wieso sollte sie eine andere Unterkunft suchen? Die alte Ölmühle
von Jacques gefiel ihr.
Während er
die Vorräte nach drinnen schleppte, drängte er Eva, in einem der Korbstühle
Platz zu nehmen, die unter einer Platane zum Verweilen im Schatten einluden.
»Lehn dich zurück, tu nichts und lass es dir gut gehen«, trug Jacques Eva auf
Eva genoss
die Ruhe. Es war der Moment, den sie so lange herbeigesehnt hatte. Wie lange
war es her, dass sie Zeit für sich alleine hatte? Sie musste nicht mehr laufen,
sie musste für niemanden sorgen, keine Einkäufe erledigen. In Köln, so bewiesen
ihre täglichen Anrufe, ging alles unfallfrei seinen familiären Gang. Frido
bewies sportlichen Ehrgeiz. Längst hatte er aufgegeben, Evas Perfektionismus
nachzustreben. Der Frühstückstisch, hatte David beim letzten Anruf berichtet,
sah abends in der Regel so aus, wie sie ihn morgens verlassen hatten. Der
ambitionierte Speiseplan war dem schnellen Pizzaservice gewichen.
»Ich bin
froh, wenn ich die Kinder morgens rechtzeitig in die Schule bekomme. Und mich
an den Arbeitsplatz«, gestand Frido. »Ich bin sogar zu spät zur
Vorstandssitzung gekommen. Und rate, was passiert ist. Nichts. Nicht mal die
Welt ist untergegangen.«
Eva hatte
am Telefon gelacht. Sie sah Frido förmlich vor sich, wie er im dezenten
dreiteiligen Ich-habe-heute-Vorstandssitzung-Anzug auf seinen sorgsam
gewienerten, handgenähten Schuhen durch die Küche eilte, um den Morgenparcours
pünktlich zu durchlaufen. Vermutlich hatte er im Büro eine Excel-Tabelle
angefertigt, um die Abläufe zu optimieren. Und scheiterte jeden Morgen an versagenden
Weckern, überlaufender Milch und den Zöpfen von Anna.
»Lene
sagt, ich sehe aus wie Pippi Langstrumpf nach einem Stromschlag«, hatte Anna
berichtet. »Dabei hat Papa es besser hinbekommen als gestern.« Trotz
gewöhnungsbedürftiger Frisur klang sie vergnügt. »Es ist schön, dass Papa mehr
Zeit für uns hat«, gestand sie ihrer Mutter.
Innerlich
beglückwünschte Eva sich, Frido eine Chance gegeben zu haben, sich als
Haarbändiger und Werwolfjäger zu beweisen. Vielleicht nahm sie Frido und den
Kindern sogar etwas, wenn sie alles regelte. Es war der ganz normale Wahnsinn,
der sich in Köln abspielte. Nichts, worüber sie sich sorgen musste.
Eva kuschelte
sich in den Korbstuhl, schloss die Augen und wartete darauf, dass sich eine
himmlische Ruhe in ihr ausbreitete. Aus dem gekippten und mit
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