Peetz, Monika
berief Das hatte es noch nie gegeben.
Dabei konnte Caroline sich kaum vorstellen, dass die Männer sich über die
terminale Krankheit von Arne nähergekommen waren. So nahe, dass Arne ihm Dinge
verriet, die er sogar vor Judith geheim hielt. Arne und Philipp waren so
unterschiedlich.
»Der Mann
redet zu viel«, hatte Philipp nach der ersten Begegnung befunden. »Und immer
über uninteressante Sachen.«
Philipp
war zu nüchtern, um sich mit Arnes nebulösen Ideen über Gott, die Welt und
alles, was dazwischen schwebte, anfreunden zu können. Philipp wäre nie auf die
Idee gekommen, Caroline die Zukunft aus den Wolken zu lesen. Da verließ er sich
lieber auf seine Quartalszahlen, den Wirtschaftsteil der Frankfurter
Allgemeinen und einen seriösen Steuerberater.
»Die
Realität ist nicht berechenbar«, pflegte Arne zu deklamieren. »Selbst die Höhe
des Eiffelturms schwankt je nach Außentemperatur um fünfzehn Zentimeter.«
Philipp
hätte etwas über die gesetzmäßige Ausdehnung des Stahls dagegensetzen können,
fürchtete aber, dass Arne auch darauf eine verschwommene Antwort hatte.
Und diese
beiden Männer sollten sich in Arnes letzten Monaten nähergekommen sein?
Caroline hatte eher den Eindruck, dass Philipp Arne mied, seit er sein Patient
war. Caroline hatte sich schuldig gefühlt, denn sie hatte Philipp gebeten, sich
Arnes Krankenakte anzusehen. Das war, nachdem das Krankenhaus ihn aufgegeben
hatte. Philipp betreute Arne auch, als es über die Verabreichung von Schmerzmitteln
hinaus nichts mehr zu helfen gab und es nur noch darum ging, Arne auf seinem
schwierigen Weg zu begleiten und Judith zu stützen.
»Arne war
nie ein Thema an unserem Abendbrottisch«, bekannte Caroline ehrlich. Wozu auch?
Caroline brauchte Philipp nicht nach Arne zu fragen. Sie konnte an Judiths wässrigen
Augen ablesen, wie es um seine Gesundheit stand.
Philipp
ging in dieser Zeit auf Distanz. »Ich habe den ganzen Tag Sprechstunde, abends
habe ich geschlossen«, gab er als Entschuldigung an, wenn er einer Einladung
bei Judith und Arne fernblieb. Er hasste es, bei gemütlichen Abendessen mit
Freunden Laborbefunde zu diskutieren. Aber vielleicht hatte dieses Abschotten
noch einen ganz anderen Grund. Hatte Arne Philipp etwas anvertraut? Etwas, das
Philipp so missfiel, dass er sich von Arne und Judith zurückzog? Warum
erzählte Philipp nichts?
»Es ist
dieses Tagebuch«, schloss Estelle. »Solange wir nicht wissen, was da drinsteht,
tappen wir im Dunkeln.«
Caroline
fragte sich, ob das Tappen im Dunkeln in diesem Fall nicht das Gesündeste war.
War es wirklich wichtig zu wissen, welches Geheimnis Arne mit ins Grab genommen
hatte?
In der
Rückschau würde sie begreifen, dass das merkwürdige Gespräch mit Philipp ein
wichtiges Puzzlestückchen lieferte. Noch wollte es sich nicht mit den anderen
Puzzlestückchen zu einem Bild zusammensetzen. Das Teil lag isoliert, am
falschen Ende. Noch.
40
»Ich
glaub's nicht. Unsere brave Eva«, wunderte sich Estelle. Nach der
schweißtreibenden Etappe hatten die Dienstagsfrauen sich samt Max in der
Auberge eingefunden. Die Passhöhe auf elfhundertsechzig Meter erreicht zu
haben, bescherte allen ein erhebendes Gefühl. Sie konnten sich kaum vorstellen,
dass in weniger als vier Wochen die Fahrer der Tour de France sich mit dem
Fahrrad dieselben Strecken hinauf- und hinunterquälen würden. Jetzt saßen sie
wie Hühner auf der Stange auf einer Bank in der Küche. Ihre Füße badeten in
fünf identischen Plastikeimern, in die Jacques angenehm warmes, mit Soda
angereichertes Wasser gefüllt hatte. Estelle hatte das Gefühl, den ganzen Tag
gelaufen zu sein, ohne ihrem großen Ziel auch nur einen Schritt näher gekommen
zu sein. Den anderen erging es nicht besser.
Die
Einzige, die vergnügt und erholt durch die Küche tänzelte, war Eva. Offen
flirtete sie mit Jacques, der ihr zum wiederholten Mal Wein nachschenkte. Es
war einer dieser Weine, die in der normalen häuslichen Umgebung höchstens als
Essigersatz durchgingen. In Jacques' Küche schmeckte er göttlich. Genauso wie
das Essen, das sie in stundenlanger Arbeit gemeinsam fabriziert hatten.
Jacques ließ es sich nicht nehmen, Eva höchstpersönlich den ersten Löffel zu
kredenzen.
»Das
Geheimnis eines göttlichen Cassoulet liegt in der Wahl der Hülsenfrüchte. Meine
Großmutter schwor auf die weißen Lingot-Bohnen«, säuselte Jacques, als er den
Löffel zu ihrem Mund führte. Evas Wangen glühten. Von der Hitze in der
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