Peetz, Monika
entsandte. In der Prozession entdeckte sie zwei betagte Damen,
die wie Zwillinge aussahen. Um sie herum lauter bekannte Gesichter.
»Die
Franzosen«, rief sie erfreut. »Sind das nicht die Franzosen aus der Herberge
von Jacques?«
Judith
fuhr um. Panik stand in ihren Augen.
»Ich hoffe
nicht, dass der Wahnsinnige dabei ist«, streute Estelle bewusst Salz in die
Wunde. Auch die Franzosen erkannten die Dienstagsfrauen. Gemeinsame Nächte im
Schlafsaal trugen ganz offensichtlich zur Völkerverständigung bei. Freudig
erregt winkten sie den Frauen zu, als sei das keine Marienprozession, sondern
der Einmarsch der Nationen bei den Olympischen Spielen. Judith war nicht die
Einzige, der mulmig wurde. Max befürchtete das Schlimmste.
»Ich hoffe
für uns, die schlafen woanders. Noch eine Nacht mit den Schnarchern halte ich
nicht aus«, ächzte er und brachte Estelle damit auf die ultimative Idee, Judith
wegzulocken.
»Wir
sollten uns sofort um einen Schlafplatz kümmern. Wenn die Prozession vorbei
ist, bekommen wir nichts mehr«, befand Estelle. »Ich will nicht mit den
Franzosen auf Matten in der Turnhalle enden.«
Judith
nickte aufgeregt: »Lasst uns ein gutes Hotel nehmen. Eins, wo man garantiert
keine Pilgergruppen trifft.«
»Das
teuerste am Platze«, jubilierte Estelle.
Begeistert
zog sie die Papiere hervor. Sie hatte da einen Restauranttipp. Wenn die Zimmer
genauso exquisit waren wie die Speisekarte, war das ihr Tag. Heimlich dankte
sie den Franzosen für ihr zahlreiches Erscheinen in der Prozession.
»Das
Finanzielle regeln wir«, flüsterte sie Kiki zu. Es wäre nicht das erste Mal,
dass sie Kiki aus einer akuten Notsituation rettete. Einmal hatte Estelle Kiki
vor dem Le Jardin bei einer Taxifahrerin auslösen müssen, die aussah wie eine
Ringerin und unempfänglich für Kikis Charme war.
»Ich hätte
schwören können, dass ich noch einen Schein hatte«, hatte Kiki gejammert. »Sie
weigert sich, mich auf zwölf Euro vierzig zurückzufahren.«
Estelle
streckte das Taxi vor, die Rechnung bei Luc und manchmal auch die Miete. Und
jetzt eben das Hotel.
»Ich
zahl's zurück«, versprach Kiki.
»In Raten,
so wie immer«, nickte Estelle Kiki zu. Sie wusste, dass es keinen Sinn hatte,
Kiki etwas schenken zu wollen. Dafür war sie zu stolz.
Estelle
blies zum Abmarsch. Und Judith folgte. Ein letztes Mal drehte sie sich um. Es
waren nicht die Franzosen, die sie interessierten. Es war Caroline, die in ein
heftiges Gespräch mit einem französischen Sanitäter verwickelt war.
52
»Der Mann mit den Flanellhemden, der Cowboy. Arne!«
Caroline
nickte. Es hatte eine Weile gedauert, bis der Sanitäter begriffen hatte, von
wem Caroline sprach. Den Mann kannte er. Gut sogar.
»Ich habe
Arne mit dem Sanitätswagen abgeholt und nach Toulouse gebracht«, bestätigte er.
»Von dort ist er nach Köln ins Krankenhaus verlegt worden.«
Caroline
verstand nur die Hälfte.
»Er ist
auf dem Pilgerweg zusammengebrochen?«
Der
Sanitäter sah sie an, als wäre Caroline nicht recht bei Trost.
»Arne?
Gepilgert? Unsinn. Er verbrachte seinen Urlaub bei Dominique. So wie immer.«
Lapidar
sagte er das. Als wäre es etwas, was man wissen müsste. In Carolines Kopf
hallte der Satz nach. Wie immer. Dominique. Urlaub. Wie immer. Dominique. Sie
versuchte, die einzelnen Worte zu etwas zusammenzusetzen, das sich in das
einfügte, was sie über den verstorbenen Freund wusste. Alles, was sie
hervorbrachte, war eine dümmliche Rückfrage: »Arne war öfter hier?«
Der
Sanitäter hatte keine Lust auf weitere Gespräche mit der aufdringlichen Dame.
»Ich unterliege der Schweigepflicht«, winkte er ab und fiel wieder in den
universellen Gebetsfluss ein.
»Sainte Marie, priez pour nous,
Sainte Mere de Dieu,
priez pour nous Sainte Mere
toujours, priez pour nous ...«
Schweigepflicht. Das hatte Caroline schon einmal gehört. Eine Ewigkeit schien es her.
Diesmal war sie nicht geneigt, sich damit zufriedenzugeben.
»Sie
müssen mir helfen. Sie müssen unserer Freundin helfen. Es ist wichtig«,
bedrängte Caroline den Mann.
Der
Sanitäter fühlte sich in seiner religiösen Andacht extrem gestört. Sie hatte
es geschafft, seine cholerischen Anlagen zum Klingen zu bringen.
»Was
glauben Sie, was das hier ist?«, fuhr er sie heftig an. »Die Parade von
Disneyland, die wir für deutsche Touristen aufführen? Sie tauchen hier auf und
stellen Fragen. Was sind Sie? Geheimpolizei?«
Um sie
herum wurden die ersten Gläubigen
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