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Peetz, Monika

Peetz, Monika

Titel: Peetz, Monika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Dienstagsfrauen
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aufgeregten Gespräche in ihrem Rücken sie betrafen. Die
vier Frauen, die eben noch heftig diskutiert hatten, verstummten.
     
    55
     
    »Worüber
reden die die ganze Zeit?«, wunderte sich Judith. Seit Tagen hatte sie das
Gefühl, dass merkwürdige Dinge vorgingen.
    »Ich weiß
das am allerwenigsten«, meinte Max. »Mich beteiligen sie nicht an ihren
Geheimnissen.«
    »Mich auch
nicht«, beklagte sich Judith.
    Ihre
Freundinnen wurden ihr mit jedem Tag fremder. Sie fühlte sich permanent
beobachtet und ununterbrochen bewertet. Sie wusste, dass die Freundinnen letztlich
von ihr erwarteten, dass sie die Trauer abschüttelte und wieder die Alte wurde.
Sie war froh, dass Max sich den Dienstagsfrauen angeschlossen hatte. Judith
fühlte sich zu dem jungen Mann hingezogen. Nicht so wie eine Frau sich zu einem
Mann hingezogen fühlte. Sie hätte sich nie vorstellen können, sich in einen
jüngeren Mann zu verlieben. Es war etwas anderes. Max war der Einzige, der ihr
unvoreingenommen begegnete. Misstrauisch drehte Judith sich ein zweites Mal
um. Die vier Freundinnen lächelten gleichzeitig ein schiefes Lächeln.
Auffälliger ging es nicht.
     
    Ein
heftiger Windstoß nahm ihr den Atem. Die ganze Etappe hatte Judith sorgenvoll
zum Himmel gesehen. Mit den ersten Tropfen starb die Hoffnung, dass die Wolken
an ihnen vorüberziehen würden. Innerhalb weniger Minuten verwandelte sich der
leichte Schauer in einen Wolkenbruch. Die Pyrenäen verschwanden in dicken
Wolken. Blitze zuckten am Himmel, Bäche schwollen an, rissen Pflanzen mit und
machten den Weg innerhalb von Minuten unpassierbar. Man sah kaum zehn Meter
weit.
    In einem
Bretterverschlag fanden sie notdürftig Unterschlupf Genau wie Millionen von
Fliegen, die aus dem Regen flüchteten. Nicht einmal die teure
Valrhona-Schokolade und die Bananen, die Max aus seiner Umhängetasche zauberte,
ließen eine gemütliche Stimmung aufkommen. In der freien Natur wirkte das
Unwetter wie eine Urgewalt. Der Wind rüttelte am morschen Gebälk, der Regen
prasselte ununterbrochen auf das lecke Dach. Es roch nach feuchtem, faulendem
Heu.
    »Ich
bekomme schon vom Geruch eine Allergie«, beklagte sich Estelle, während sie
ununterbrochen Fliegen von sich abschlug.
    Nach einer
Viertelstunde waren die Blitze vorübergezogen. Es hatte sich eingeregnet.
    »Es hat
keinen Sinn zu warten«, beschied Caroline. »Sonst kommen wir in die
Dunkelheit.«
     
    Die Idee,
auf der Landstraße direkt ins nächste Dorf zu flüchten, stellte sich als
dramatischer Irrtum heraus. Die Sicht war schlecht, die Straße eng. Jedes Mal,
wenn ein hupender Lastwagen gefährlich nah an ihnen vorbeizischte, wurden die
Dienstagsfrauen von einer Ladung Spritzwasser begossen. Es hatte keinen Sinn.
Sie mussten den ungleich längeren Nebenweg in Kauf nehmen.
    Mühsam
schleppten sie sich über die aufgeweichten Pfade nach oben. Im Morast kam man
nur langsam voran. Immer wieder rutschte Judith aus. Noch nie hatten die sechs
sich erdverbundener gefühlt, nie sehnsuchtsvoller in den Himmel geschaut. Von
dort allein konnte Erlösung kommen. Der Regen machte den Horizont eng. Das
Tagesziel war nicht einmal zu ahnen. Judith fluchte innerlich. Sie konnte sich
tausendmal vorsagen, dass der Regen eine äußere Reinigung mit sich brachte, die
Hand in Hand mit der inneren ging. Pilgerromantik und religiöses Pathos lagen
ihr im Moment ebenso fern wie Getuschel und Geheimnisse. Es ging darum, diese
Etappe zu überstehen.
    Selten
tauchte eine Jakobsmuschel auf, die den Weg markierte. Die Orientierung war
schwierig, das Wasser überall. Es rann über ihre Hände, floss in den Kragen und
die Schuhe. Unter den hastig aus den Rucksäcken gezerrten Regenjacken
entwickelte sich ein dunstiges Klima.
    »Wenn wir
nicht aufpassen, kommt es unter der Plastikhaut zu einem Hitzestau und
Kreislaufkollaps«, rekapitulierte Eva ihr medizinisches Wissen.
     
    Tränen der
Erschöpfung liefen über Judiths Wangen. »Pilgern muss man mit allen Sinnen«,
hatte Arne in seinem Tagebuch notiert. An diesem Tag war es der Widersinn, der
sie auf dem Weg begleitete.
     
    56
     
    Vom Turm
klang die Klosterglocke herüber, von weit her erscholl leise der Gesang der
Mönche. Sie beteten für das Heil ihrer Gäste, die ihnen der Regen über die
Schwelle gespült hatte. Normalerweise beherbergte das Kloster weder Touristen
noch Pilger, aber für die sechs durchgefrorenen Gestalten, die am späten
Nachmittag schlotternd an der Pforte von St. Martin standen, hatte der Abt

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