Peetz, Monika
das nicht wahr ist«, forderte Eva Judith auf.
Anstatt zu antworten, rannte Judith davon. Sie knallte gegen eine Helferin mit
einem Tablett. Tassen zerschellten auf dem Boden, Eier platzten, eine Batterie
Croissants ertrank in einer Pfütze Tee. Judith hielt nicht einmal inne. Nach
ihr die Sintflut, vor ihr die Katastrophe. Denn Dominique war erst am Anfang.
»Sie
glaubte, er merkt es nicht, wie sie nachts heimlich telefonierte, sich für
romantische Stelldicheins zurechtmachte. Einmal ist er ihr bis zum Hotel
gefolgt, wo sie ihren Liebhaber traf«
»Er
wusste, wer der Mann war?«
»Natürlich.
Es war sein eigener Hausarzt.«
Eva lachte
auf. Es war ein verlegenes, ungläubiges Lachen. Das durfte nicht wahr sein. Das
musste ein Missverständnis sein. Was sollte es anderes sein?
»Arne war
bei Philipp in Behandlung, dem Mann einer Freundin«, presste sie hervor, als
wäre das ein schlagendes Argument.
»Philipp.
Genau. So hieß der Mann«, entgegnete Dominique.
Das Blut
pochte dumpf gegen Evas Schläfe. Wie Hammerschläge hallten die Worte in ihrem
Kopf wider. Judith und Philipp? Ein Verhältnis? Hinter dem Rücken von Arne?
Hinter dem Rücken von Caroline? Hinter ihrer aller Rücken? So etwas traute sie
Judith nicht zu. Niemandem traute sie das zu. Sie fühlte sich, als wäre sie im
verkehrten Film gelandet. Eva konnte überhaupt nicht mehr aufhören, den Kopf zu
schütteln. Das hier war nicht die Lösung ihrer Probleme. Das war der Supergau.
»Arne hat
es hingenommen«, erzählte Dominique traurig.
»Er hatte
solche Angst, sie zu verlieren, dass er sich und seine Würde verlor. Lange
bevor er endgültig ging.«
Dominique
wirkte nicht mehr grimmig, sondern verletzt und verletzlich. »Wir sind
gemeinsam gepilgert«, erzählte er. »Wir haben uns kurz hinter Köln kennengelernt.
Zwei Deppen, die zwischen Rhein und Mosel Jakobsmuscheln suchten. Wir haben
kein Wort miteinander geredet. Bis wir nach ein paar Tagen feststellten, dass
wir im selben Tempo laufen.«
Eva
nickte. Sie verstand sofort, dass ein gemeinsamer Rhythmus ein besonderes Band
zwischen zwei Menschen schuf »Das Pilgerbuch war gar nicht erfunden?« Eva
suchte nach einem Ausweg aus der Katastrophe.
»Arne
wollte Judith zeigen, dass er noch immer der starke Mann ist, in den sie sich
verliebt hatte. Am Anfang pilgerte er wirklich. Später tat er nur noch so, als
setze er seine Pilgerreise unermüdlich fort. Er tat so, als hätten sie eine Zukunft.
In Wirklichkeit war er viel zu krank. Nach Santiago de Compostela habe ich hier
angefangen. Arne kam in seinen Ferien zu mir, um sich zu erholen. Bis auch das
nicht mehr ging. Den letzten Aufenthalt musste er abbrechen.«
Eva
begriff langsam. Tonlos vollendete sie den Gedanken. »Das war seine letzte
Pilgerfahrt. Der Krankenwagen hat ihn abgeholt. Samu. Um 17.00 Uhr.«
»Sechs
Wochen später war Arne tot«, nickte Dominique.
»Judith
hat Sie informiert?«
»Ich habe
es zufällig erfahren. Einer unserer Pilger hatte eine Kölner Zeitung dabei.«
Für einen
Moment war es still, ganz still. Eva sank in sich zusammen. Dominique sprach
aus, was Eva dachte: »Judith hat alle betrogen. Auch Sie.«
64
Wo blieb
Eva nur? Was sprachen die beiden so lange? Unruhig lief Judith vor dem Portal
auf und ab. Ihre aufgeregten Schritte knirschten auf dem Kies. Dominique, das
musste der belgische Exbanker sein, von dem Arne ganz am Anfang berichtet
hatte. Arne hatte nie viel erzählt über das Pilgern.
»Nichts
ist so langweilig wie Urlaubsberichte anderer Menschen«, hatte er immer
erklärt. Als Kind hasste Arne die Diaabende bei seinen vielen Tanten, die
damals noch Onkel an ihrer Seite hatten.
»Kennst du
das nicht?«, hatte er Judith gefragt. »Diese Standardtexte, mit denen jedes
Dia eingeleitet wird. Das Lustige, was man auf dem Foto nicht so gut erkennt,
ist hinten links, hinter dem Baum, da steht Tante Frieda mit einem Affen auf
dem Arm.«
Arne
hasste diese Veranstaltungen. Seltsamerweise sah man auf Dias nie das, was
wirklich gemeint war. Und fühlte nie etwas. Außer der Zeit, die langsam
dahinkroch, während man reich dokumentierte Erzählungen über zufällige Urlaubsbekanntschaften,
Busausflüge und die üppige Flora und Fauna rund um den Hotelpool über sich
ergehen ließ.
»Fremde
Länder muss man spüren, nicht auf Dias bannen«, betonte Arne. Deshalb führte
er nur das Pilgertagebuch, aber keinen Fotoapparat mit sich. Judith bedauerte
das jetzt. Hätte sie gewusst, dass Dominique ein
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