Peetz, Monika
Bemerkung auf.
»Es gibt
nichts zu klären«, befand Caroline.
»Ich
möchte, dass du weißt, wie es dazu gekommen ist«, bat Judith und brachte
Caroline nur noch mehr auf die Palme.
»Erspar
mir die Details. Oder wolltest du dich mit mir über eure Stellungen
austauschen?«
Gegen
Carolines verbale Kraft war Judith machtlos. Was auch immer sie sagen würde,
Caroline hätte eine Antwort. Dieser Prozess war nicht zu gewinnen. Judith
schmiss den Rest des Buches ins Feuer und folgte dem Beispiel von Estelle. Es
war sinnlos.
Eva, die
bislang geschwiegen hatte, blieb an Carolines Seite. Sie nahm einfach ihre
Hand. Eine einfache kleine Geste, die ihr klarmachte, dass sie kein Wutseminar
und keinen besserwisserischen Therapeuten brauchte. Caroline hatte ihre
Freundinnen. Zumindest noch eine.
»Es hat
keinen Sinn, von jemand anderem zu verlangen, dass er einen glücklich macht«,
begann Eva vorsichtig. Sie urteilte nicht, sie verurteilte nicht. Sie erzählte
von sich. Und von den Dingen, die ihr in diesen neun Tagen, die sie bereits mit
den Freundinnen wanderte, aufgegangen waren. »Ich würde zu gerne Frido dafür
verantwortlich machen, dass ich ein langweiliges Hausmütterchen geworden bin.
Aber das stimmt nicht. Ich war dabei. Jeden einzelnen Tag. Man ist immer
dabei.«
Caroline
wusste, dass Eva recht hatte. Das friedvolle Nebeneinander war ein bequemes
Ruhekissen gewesen. Ihre Ehe mit Philipp fühlte sich vertraut an,
selbstverständlich und mühelos. Und genau da war es schiefgegangen. Bei der
Mühelosigkeit, die unmerklich in Lieblosigkeit abgeglitten war.
Hatte sie
sich dafür interessiert, was er auf seinen Seminaren lernte und erlebte? Hatte
sie in den letzten Monaten nachgefragt, was in Philipp vorging? Wie er sich
fühlte? Er musste sich eingesperrt gefühlt haben, gelangweilt, an einem Ende
angekommen. Sie hatte nichts gesehen. Weil sie Philipp nicht mehr wahrnahm.
»Vielleicht
hat Judith recht«, gab Caroline zu. »Meine Ehe war nicht in Ordnung. Wir haben
es nur in einem funktionierenden Alltag versteckt.«
»Geht
es?«, erkundigte Eva sich besorgt.
Caroline
schüttelte den Kopf: »Mir tut alles weh. Innen und außen.«
Sie drehte
sich von Eva weg. Niemand sollte sehen, dass sie Tränen in den Augen hatte.
Nicht einmal Eva.
71
Weiß
leuchteten die Gipfel der Pyrenäen. In der Nacht war hoch oben in den Bergen
Schnee gefallen. Der Wind brachte die kalte Luft in die Täler. Der Wirt hatte
Mitleid mit den Frauen, die bei diesen arktischen Temperaturen vorhatten, ihren
Tag draußen zu verbringen. Für einen Südfranzosen kamen die dreizehn Grad, die
am Fuße der Pyrenäen herrschten, einem akuten Kälteeinbruch gleich. Keinen
Hund würde er vor die Tür jagen. Caroline genoss die Kühle. Sie fand die
plötzliche Kälte nur zu passend für ihre letzte Etappe.
Schweigend
humpelte Caroline den Weg entlang. Am Wegesrand tauchten die ersten Schilder
auf: Lourdes war zwölf Kilometer entfernt, dann sieben, schließlich drei.
Caroline hatte Schmerzen. Sie legte ihren Rucksack nieder und wandte sich an
Judith.
»Du darfst
ihn tragen. Wenn du möchtest.«
Judith
nahm die zusätzliche Last auf ihren Rücken, als wäre sie eine gerechte Strafe.
»Ich habe monatelang Angst gehabt. Angst und ein schlechtes Gewissen. Jetzt ist
das Schlimmste passiert.«
Caroline
verstand nur zu gut, was in Judith vorging. Sie bettelte um die Absolution, um
Carolines Freundschaft, um die Garantie, dass alles gut war. Aber so weit war
Caroline nicht. Sie fragte sich, ob sie jemals dazu in der Lage sein würde. Sie
war zu müde und zu erschöpft, um zu streiten und zu verzeihen.
»Lass uns
ein andermal reden, Judith. Ich muss mein Leben erst einmal ordnen.«
»Hast du
mit Philipp gesprochen?« Caroline schüttelte den Kopf:
»Es gibt
Dinge, die kann man am Telefon nicht klären. Vor allem, wenn man nicht weiß,
wie man reagieren soll.«
Die große
Wut war auf den vergangenen Kilometern verraucht. Aber zu sagen gab es auch
nichts mehr. Judith und Caroline hatten einen Weg zu gehen. Es würde kein
gemeinsamer mehr sein.
Eva hatte
darauf bestanden, den Umweg über den Pic du Jer zu nehmen, einen Berggipfel,
der am Rande Lourdes lag. Unter dem großen Holzkreuz, das in den Himmel ragte,
konnte man sich noch einmal in über tausend Metern dem Himmel nahe fühlen,
bevor sie den Abstieg in den Wallfahrtsort starteten.
Der Wind
fegte eisig über die Aussichtsplattform. Vielleicht war es deswegen so
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