Peinlich peinlich Prinzessin
in einem prächtig bestickten Damastkleid mit hohem Spitzenkragen zeigte.
»Die da?«, schnaubte Grandmère. »Vergiss sie.«
»Wer ist sie denn?«, fragte ich. Hauptsächlich, um Grandmère zu ärgern, weil sie so auf ihre Kläranlagen fixiert war. Aber auch weil es ein schönes Bild war. Und weil das Mädchen so traurig aussah. Als wäre ihr das Gefühl, in einem tiefen schwarzen Loch zu sitzen, nicht ganz unbekannt.
»Das«, sagte Monsieur Christophe erschöpft, »ist Ihre Hoheit Amelie Virginie Renaldo, die 57. Fürstin von Genovia, die im Jahre 1669 regierte.«
Ich sah Grandmère erstaunt an.
»Wieso hast du mir im Unterricht nie was von ihr erzählt?«, fragte ich. Grandmère hat mich nämlich die Namen aller unserer Vorfahren auswendig lernen lassen. Und eine Amelie Virginie ist nicht dabei gewesen, das wüsste ich. Amelie ist in Genovia ein ziemlich beliebter Name: Unsere Schutzheilige heißt so, die junge Hirtentochter, die das Fürstentum einst vor einem plündernden Eindringling rettete, indem sie ihn erst in den Schlaf gesungen und ihm dann den Kopf abgetrennt hat.
»Weil sie nur zwölf Tage auf dem Thron saß«, sagte Grandmère ungeduldig. »Dann starb sie an Beulenpest.«
»BEULENPEST?« Ich sprang auf und stürzte zum Wasserspender, um das Bild genauer zu betrachten. »Sie sieht aus, als wäre sie ungefähr in meinem Alter!«
»War sie auch.« Grandmère seufzte müde. »Amelia, würdest du dich bitte jetzt wieder setzen? Wir haben keine Zeit für so etwas. Die Gala findet in einer Woche statt, wir müssen dringend ein Thema für deine Rede festlegen…«
»O Gott, ist das traurig.« Wahrscheinlich ist es eines der Symptome für eine Depression, dass man praktisch die ganze Zeit nur noch am Heulen ist. Mir stiegen nämlich sofort wieder Tränen in die Augen. Fürstin Amelie Virginie war so hübsch. Sie sah aus wie Madonna, bevor sie Makrobiotikerin, Kabbalistin und Bizepsfanatikerin wurde und als sie noch ein ganz volles, rundliches Gesicht hatte. Irgendwie hatte sie sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit Lilly. Wenn Lilly hellbraune Haare hätte. Und eine Krone und ein schwarzes Samtband um den Hals tragen würde. »Wie alt war sie? Sechzehn?«
»In der Tat.« Monsieur Christophe stellte sich neben mich. »Es war eine entsetzliche Zeit damals. Die Pest raffte nicht
nur die Landbevölkerung dahin, sondern auch das Fürstengeschlecht. Amelie verlor beide Eltern und alle ihre Brüder. Deshalb wurde sie auch so jung zur Fürstin gekrönt. Wie die Fürstinmutter bereits sagte, regierte sie nur zwölf Tage lang, bevor sie selbst dem Schwarzen Tod zum Opfer fiel. Allerdings hat sie während dieser kurzen Zeitspanne einige Entscheidungen getroffen - Entscheidungen, die damals sehr umstritten waren -, die letzten Endes aber vielen Genovesen das Leben retteten, wenn nicht sogar der gesamten Bevölkerung der Mittelmeerküste. Sie ließ den Hafen von Genovia für den gesamten Schiffsverkehr sperren und riegelte, als sie krank wurde, die Tore des Palasts ab … Sie empfing nicht einmal mehr die Ärzte, die ihr das Leben hätten retten können, weil sie nicht riskieren wollte, dass die Seuche weiter auf ihr Volk übergriff.«
»O Gott.« Ich legte mir eine Hand auf die Brust und unterdrückte ein Schluchzen. »Ist das traurig! Gibt es noch irgendwelche Briefe von ihr oder andere Schriftstücke?«
Monsieur Christophe sah überrascht zu mir hoch. (Ich war in meinen Plateauschuhen gefühlte zwei Meter groß, und er hatte, wie Grandmère ja schon gesagt hatte, eher Nussknackergröße.) »Wie bitte?«
»Briefe«, wiederholte ich. »Irgendwelche Sachen, die Prinzessin Amelie Virginie geschrieben hat? Ich würde sie gerne sehen.«
» Mon Dieu , Amelia!« Grandmére sah so aus, als hätte sie statt des Tees und der Sandwiches (ohne Mayonnaise) jetzt doch lieber eine Zigarette und einen Sidecar. (Beides hat ihr der Arzt streng verboten.) »Das Mädchen hat nichts geschrieben! Sie hatte die Beulenpest! Sie hatte keine Zeit, irgendetwas zu schreiben! Sie war vollauf damit beschäftigt, die Leichen ihrer Kammerzofen auf dem Hof des Palastes zu verbrennen.«
»Nun ja«, mischte Monsieur Christophe sich schüchtern
ein. »Das ist nicht ganz korrekt. Sie hat immerhin ein Tagebuch geführt.«
»UNTERSTEHEN SIE SICH, DIESES TAGEBUCH ZU HOLEN!«, rief Grandmère und sprang auf. Dabei rutschte Rommel ihr vom Schoß, schlitterte quer durch den Raum, fand mühsam sein Gleichgewicht wieder und verzog sich danach beleidigt
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