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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Malke hatte ihren Strohhut mit den Porzellankirschen auf, ein Abschiedsgeschenk ihrer Mutter.
    Magellan zeigte dem Sklaven drohend seine Winchester, der Bursche zog den Kopf ein und legte die Hand auf den Mund – ich bin ganz still!
    Aber sie schafften es trotzdem nicht ohne ein Geräusch bis zum Turm. Der hinkende Dodik Pewsner stolperte über einen Stein und ließ dabei sein Berdangewehr fallen – ein Schuss löste sich und zerriss die schlafende Stille.
    »Verdammter Mist!« Magellan fluchte laut, stürmte mit riesigen Schritten vorwärts und verschwand im Turm. Die anderen, die Gewehre im Anschlag, sausten hinter ihm her. Nur Malke und Ljowa blieben zurück. Sie hatten Mitleid mit dem armen Kerl, den man dort wie einen Hofhund an der Kette hielt.
    Irgendwo kreischte eine Frau. Dann, am anderen Ende des Auls, noch eine.
    »Verdammter Mist! Verdammter Mist!«, sprach da auf einmal der Sklave Magellan nach. So einer mit ganz schwarzen Augen war das, und mit einem lebhaften, lustigen Gesicht. »Ihr seid Russen! Ich bin auch Russe! Helft mir!«
    Und flink bekreuzigte er sich nach orthodoxer Art.
    »Du siehst aber gar nicht so aus«, bemerkte Ljowa und versuchte, die Kette mit dem Gewehrkolben zu zerschlagen.
    »Ich bin russischen Glaubens! Ich bin Araber, aber ein russischer Araber!«
    »Und wir sind Juden«, sagte Malke.
    Ljowa machte eine resignierte Geste – was sollte jetzt noch die Vorsicht. Er legte die Gewehrmündung an die Kette und drückte ab. Die Kette zersprang.
    »Schnell!«, rief Malke und fasste den russischen Araber an der Hand.
    Der war, als er hörte, dass sie Juden waren, ganz in sich zusammengesunken und versuchte jetzt, sich unter dem Fuhrwerk zu verkriechen, aber Ljowa schnappte ihn sich von der anderen Seite, und dann rannten sie zu dritt zum Turm.
    Dort erwarteten sie zwei Kommunarden. Kaum waren sie drin, verrammelten sie die Tür mit einem dicken Balken.
    Dann stürzten sie alle die Treppe hinauf.
    Die Truppe hatte sich im obersten Stockwerk und auf der Plattform versammelt.
    Bravo, Magellan! Er hatte es also doch geschafft, bei dem Wächter zu sein, ehe der begriffen hatte, was da vor sich ging. Der Wachtposten, ein ganz junger Bursche, saß in einer Ecke auf dem Boden und hielt sich den verletzten Kopf. Aber Gott sei Dank, er war am Leben.
    Malke bedeutete ihm mit einer Geste, er solle die Hände wegnehmen, sie wollte ihm einen Verband anlegen. Aber der kleine Tscherkesse fletschte bloß die Zähne gegen sie, wie ein Wolf.
    »Zwei Leute mit Winchester an die Schießscharten im zweiten Stock, zwei an die im dritten«, kommandierte Magellan. »Die anderen beziehen Posten hinter den Zinnen und schieben die Gewehrläufe nach draußen. Die Tscherkessen sollen sehen, dass wir viele sind und alle bewaffnet. Keiner schießt ohne ausdrücklichen Befehl.«
    Malke steckte den Kopf durch die Zinnen. Von hier oben aus konnte sie den Aul und die ganze Umgebung wunderbar überblicken.
    In den engen Gassen war kein Mensch zu sehen, nur in den Höfen huschte da und dort eine Frauengestalt hin und her. Aber kein einziger Mann ließ sich blicken.
    »Wo sind sie denn, die Dshigiten?«, fragte Magellan verwirrt. »Das verstehe ich nicht. . .«
    Da sagte der befreite Araber:
    »Die Männer haben ganze Nacht geritten. Auf Pferd gesetzt und weggeritten. Noch nicht zurück.«
    »Aber natürlich!«, rief Magellan und schlug sich an die Stirn. »Wieso bin ich da nicht gleich drauf gekommen! Sie sind nach El-Ledshun, um die Beute loszuschlagen. Die haben überhaupt nicht damit gerechnet, dass wir sie angreifen könnten! Das ist jüdisches Glück, habt ihr’s jetzt endlich kapiert, ihr Muttersöhnchen?« Dann wandte er sich an den Befreiten. »Und was bist du für einer? Woher kannst du Russisch?«
    »Ich bin Araber, aber Braut ist Jüdin«, sagte der mit einer artigen Verbeugung. »Bald werden heiraten. Vielleicht dann ich werde selbst Jude. Guter Glaube, mir gefällt sehr.«
    »Warum warst du angekettet?«
    »Ich habe russische Dame gefahren, aus Jerusalem. Sehr reiche Dame, bloß bissel verrückt. Der Tscherkesse hat überfallen und verschleppt. Jetzt will Lösegeld. Wird schreiben an russischen Konsul, damit er gibt zehntausend Franken. Für mich wollte tausend Franken, aber habe ich gesagt, bin ich armer Mann. Da hat er mich an Kette gelegt. . . Und Hantur hat genommen, und zwei arabische Pferd genommen. Wenn Beg kommt zurück, sag ihm, er soll mir wiedergeben Hantur und Pferd, und Dame soll auch

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