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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Reiter sahen sich schweigend das Fuhrwerk und seine Insassen an. Sie boten einen für Palästina sehr seltsamen Anblick: Beide trugen eine Tscherkesska mit aufgenähten Patronenschlaufen, dazu der eine eine hohe Pelzmütze, der andere eine Kapuze. ›Sie sehen aus wie unsere Kuban-Kosaken‹, dachte Polina Andrejewna nervös.
    »Sie verstehen nicht Arabisch«, sagte Salach zu ihr gewandt. Er sah blass und erschrocken aus. »Das sind Tscherkessen. Sehr schlimme Tscherkessen. Ich werde mal reden Türkisch . . .«
    Der eine der beiden Reiter kam jetzt heran und beugte sich zu Pelagia – sie roch Knoblauch und Schaftalg.
    »Muskubi?«, fragte er. »Russa?«
    »Ja, ich bin Russin.«
    Die Tscherkessen besprachen sich in ihrer gutturalen Sprache. Es klang, als stritten sie miteinander oder schimpften über irgendwas, Pelagia wurde nicht schlau daraus.
    »Worüber reden sie?«, fragte sie nervös.
    Salach schluckte nur.
    Derselbe Räuber beugte sich wieder zu ihr, griff nach dem Saum ihres Kleides und rieb ihn zwischen den Fingern. Sie kreischte erschrocken auf, aber der Bösewicht hatte offenbar gar nicht vor, ihr die Kleider vom Leibe zu reißen, er prüfte lediglich die Qualität der Seide. Er nickte seinem Kumpanen zu, nahm dann Polina Andrejewnas Sonnenschirm vom Sitz und zeigte ihm den Elfenbeingriff.
    »Was sagt er?«, rief die Nonne erschrocken.
    »Er sagt, du bist reich und bedeutend. Russen werden geben viel Geld für dir.«
    Salach mischte sich in die Diskussion ein. Er plapperte rasend schnell und mit kläglicher Stimme und fuchtelte dabei wie wild mit den Händen. Polina Andrejewna missfiel diese Gestikuliererei ganz entschieden: Zuerst zeigte er auf sie und winkte abfällig, so als wollte er nichts mit ihr zu tun haben, dann stieß er sich mit dem Finger auf die Brust und deutete irgendwohin nach hinten, dahin, wo sie hergekommen waren. Ohne Zweifel versuchte er, sie dazu zu überreden, nur sie alleine gefangen zu nehmen und ihn gehen zu lassen. So ein Schuft! Und der lästerte über Jaël!
    Aber die Tscherkessen ließen sich davon gar nicht beeindrucken. Sie wechselten nur noch zwei, drei Worte, wendeten die Pferde und ritten langsam davon.
    Salach zögerte.
    »Lassen sie uns laufen?«, fragte die Schwester verblüfft. Sie konnte es gar nicht glauben.
    Aber da drehte sich einer der beiden Räuber zu ihnen um und drohte mit der Peitsche, und mit einem kläglichen Seufzer fuhr Salach an.
    »Ich hab ihr gesagt, ich hab gesagt«, jammerte er. »Nach Megiddo man darf nicht fahren, sehr schlimm. Nein, fahre! Was soll jetzt werden? Was soll jetzt bloß werden?«
    Bald darauf wurde es dunkel, von dem Weg zum tscherkessischen Aul konnte Polina Andrejewna kaum etwas erkennen. Zuerst ging es über einen Hügel, dann durch ein Tal, schließlich kam ein ziemlich steiler Anstieg.
    Flache Dächer und ein paar trüb erleuchtete Fenster – das war alles, was sie von der Ansiedlung selbst zu sehen bekam. Der Hantur hielt auf einem dunklen, dreieckigen Dorfplatz. Zwei in weiße Tücher gehüllte Frauen führten die Nonne schweigend über einen dunklen Hof und in eine kleine Hütte, die sich auf den zweiten Blick als ein ganz solider Bau erwies, mit stabilen Fensterläden und einem Schloss an der Tür. Wahrscheinlich extra für die »reichen und bedeutenden« Gefangenen, vermutete Pelagia.
    Ihre Vermutung bestätigte sich sehr schnell, denn schon bald darauf erschien der Herr dieses Anwesens – allem Anschein nach auch der Herr des ganzen Auls –, ein langbärtiger Greis mit einer hohen Lammfellmütze, die aus einem Turban herausragte. Aus unerklärlichen Gründen war er bis an die Zähne bewaffnet. Lief der etwa zu Hause immer so rum, mit Säbel, Dolch und Revolver im Gurt?
    Der Obertscherkesse sagte, er heiße Daniel-Beg, und die »Fürstin« werde zum Abendessen Ziegenmilch und Salzgebäck bekommen. Zu ihrer Verwunderung sprach er ein gepflegtes und korrektes Russisch, mit einem kaum merklichen Akzent.
    Polina Andrejewna bekam einen furchtbaren Schreck, als sie merkte, dass man sie für eine »Fürstin« hielt.
    »Ich bin keine Fürstin!«, rief sie. »Sie irren sich!«
    Darüber war der Greis sichtlich betrübt.
    »Mussa hat gesagt, eine Fürstin. Seidenkleid, weißes Gesicht. Und wer bist du dann? Wie heißt du?«
    »Ich bin eine Pilgerin. Ich heiße Pelagia . . . ich meine, Polina Lissizyna.«
    Daniel-Beg verneigte sich sehr höflich – fehlte nur, dass er einen Kratzfuß machte und ihr die Hand küsste.
    »Wer ist

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