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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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den Achseln. »Also, wir gehen folgendermaßen vor. Schlomo und Kolosseum bleiben hier und bewachen den Han. Du, Malke, bleibst ebenfalls hier, du trägst die Verantwortung. Ihr passt auf, dass nicht auch noch die Araber aufkreuzen und uns das Rest stehlen. Alle anderen – mir nach.«
    Ach, so ein Schlaukopf! Von wegen Verantwortung! Er wollte ihr Honig ums Maul schmieren und dachte, sie bleibt zu Hause mit zwei solchen Weichlingen. Nichts da!
    »Nichts da!«, sagte Malke resolut. »Schlomo und Kolosseum sollen ruhig allein hierbleiben, die können sich im Han verbarrikadieren und keinem aufmachen. Ich gehe mit euch. Wenn schon Gleichberechtigung, dann richtig!«
    Und davon ließ sie sich nicht abbringen, das können Sie mir glauben.
    Vierundzwanzig Kommunarden zogen im Gänsemarsch die einsame Straße entlang durch das weitläufige Tal. Der Mond schien nicht, und Sterne waren auch keine zu sehen, der Himmel hing voller Wolken. Magellan führte sein Heer mit schnellem Schritt, das heißt sogar beinah im Laufschritt. Durchaus vorstellbar, dass er dies mit voller Absicht tat, damit sich die ganze Kraft auf die Bewegung konzentrierte und keiner auf dumme Gedanken kam.
    Nur sechs von ihnen hatten Winchester-Gewehre, die anderen trugen Berdangewehre oder Jagdflinten. Malke musste sogar mit einer alten Schrotbüchse für die Entenjagd vorlieb nehmen. Während sie hinter Magellan hertrippelte und versuchte, mit ihm Schritt zu halten, sagte sie immer wieder leise vor sich hin: Zuerst die beiden kleinen Eisendinger spannen und dann mit dem Zeigefinger den Haken drücken; zuerst die Eisendinger, dann den Haken . . .
    Der Plan (oder, wie Magellan es militärisch formulierte: die »Disposition«) war wie folgt: Zuerst über den Steilhang die Anhöhe erklettern, weil man dort vom Turm aus nicht zu sehen ist. Dann im Gebüsch verstecken und auf den Tagesanbruch warten. Sobald es hell genug ist zum Zielen, erschießt Magellan den Wachtposten, alle rennen so schnell sie können zum Turm und verbarrikadieren sich dort, und dann wird von da aus der ganze Aul ins Visier genommen. Sobald einer die Nase aus seiner Hütte herausstreckt, wird draufgehalten; von dort oben aus liegt der ganze Aul wie auf einem Präsentierteller vor ihnen.
    »Wir werden sie zwingen, sich zu ergeben«, verkündete Magellan munter. »Wir holen uns unsere Sachen zurück, und zur Strafe noch etwas mehr. Es wird nur einen Toten geben, und den nehme ich auf mich. Ich habe keine Angst vor der Blutrache, und vor Tod und Teufel auch nicht.«
    Malke schaute ihn an und dachte plötzlich: Was gäbe ich dafür, wenn er sich in mich verlieben könnte. Aber natürlich verscheuchte sie diesen ungehörigen Gedanken ganz schnell, weil er nicht kameradschaftlich war, und überhaupt – wie sollte er sich denn in sie verlieben, in so ein kurzbeiniges Gänschen.
    Wie sie den Steilhang hinaufkamen, darüber hätte man eine komplette Komödie schreiben können. Oder eher eine Tragödie.
    Jankel der Geiger rutschte ab und kullerte in den Fluss. Pudelnass kam er wieder herausgekrochen und klapperte dann die ganze Zeit bloß noch mit den Zähnen.
    Meir Schalewitsch zerriss sich an den Dornen die Hose, man konnte im Dunkeln seinen Allerwertesten weiß durch den Schlitz hervorleuchten sehen.
    Der Tollpatsch Brün erwischte beim Klettern statt einer Wurzel eine Schlange. Gott sei Dank war die genauso erschrocken wie er selber und huschte davon, ohne ihn zu beißen. Und es war noch ein Glück, dass Sascha wegen seines Asthmas nicht schreien konnte: So bekam er bloß einen Erstickungsanfall. Sonst wäre die ganze Disposition am Ende wohl geplatzt.
    Irgendwie waren sie dann doch noch oben angekommen. Sie ließen sich ganz am Rande des Abhangs in die Büsche fallen und schnappten nach Luft.
    Bald war der Schweiß getrocknet, und die Kommunarden begannen zu frieren. Der Sonnenaufgang kam und kam nicht.
    Das war das Schwerste. Jetzt, als sie so reglos dalagen, kamen ihnen alle möglichen unguten Gedanken in den Kopf. Wäre nicht direkt hinter ihnen der Steilhang gewesen, wer weiß, vielleicht wäre der eine oder andere doch noch schwach geworden und hätte sich klammheimlich aus dem Staub gemacht.
    Magellan spürte das. Er war die ganze Zeit in Bewegung, flüsterte dem einen ein paar Worte zu, klopfte dem anderen aufmunternd auf die Schulter.
    Und Malke drückte er den Ellbogen und flüsterte: »Malli, du bist mir vielleicht ein gescheites Kind.«
    Und sofort war ihre Angst wie weggeblasen.

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