Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
Lebensunterhalt.
    Der Grund für diese traditionsbewusste Haltung war der Beg selbst. Mittlerweile hochbetagt, hatte er sein ganzes Leben auf dem Pferd verbracht und wurde nicht müde zu versichern, dass er auch im Sattel sterben werde. Aber ans Sterben dachte Daniel-Beg noch lange nicht. Trotz seiner mehr als siebzig Lenze steckte er noch voller Kraft und Leben. Vor kurzem gerade hatte er sich eine neue Frau genommen, eine Dreizehnjährige, und man erzählte, dass sie auch schon schwanger sei.
    Fast ein halbes Hundert Reiter versammelte sich unter dem Zeichen des Daniel-Beg – einem sechszackigen Stern mit Halbmond und Pferdeschwanz. Ihr Dorf hatten sie genauso aufgebaut wie im heimatlichen Kaukasus, das heißt, sie hatten einen Wachturm auf den Gipfel einer steilen Anhöhe gepflanzt und um ihn herum lauter niedrige Hütten gesetzt. Auf dem Turm stand Tag und Nacht ein Posten und spähte aufmerksam in alle Himmelsrichtungen. Hunde hielten die Tscherkessen nicht, weil die Bergköter, die sie mitgebracht hatten, das palästinische Klima nicht vertrugen. Und für die einheimischen Steppenhunde hatten sie nur Verachtung übrig.
    In diesem Umstand erkannte Magellan auch die Schwachstelle im tscherkessischen Bollwerk.
    Als die Kommunarden begriffen, dass ihr Anführer sich keinen Scherz erlaubt hatte und tatsächlich Daniel-Beg den Krieg erklären wollte, trat im Hof des Hans auf einmal Totenstille ein. Sogar Malke, die Magellan immer und in jeder Hinsicht unterstützte, dachte erschrocken, ob er diesmal nicht den Bogen überspannt hatte, ob die anderen sich jetzt nicht von ihm abwenden würden.
    Aber Magellan tat, als könnte ihm eine solche Möglichkeit gar nicht in den Sinn kommen.
    »Sehen wir uns das mal an«, begann er sachlich, schob Erde zu einem Häuflein zusammen und steckte einen kleinen Zweig hinein. »Das ist der Hügel, und das hier ist der Turm. Die Steine sind die Hütten.«
    »Und was ist das?«, fragte jemand und zeigte auf eine gewundene Linie.
    »Das ist der Fluss. An dieser Seite befindet sich ein sehr steiler Hang, der beinahe senkrecht abfällt. Im Südwesten, also hier, führt der Weg zum Dorf hinauf . . .«
    Das war eine gute Idee, das mit dem Modell. Statt zu jammern und zu streiten, drängten sich jetzt alle herbei und beäugten neugierig Magellans Schöpfung.
    »Das Ziel ist sonnenklar«, sagte er und wischte sich die Hände an der Hose ab. »Die Tscherkessen müssen ein für alle Mal kapieren, dass sie die Finger von uns zu lassen haben. Und gleichzeitig holen wir uns unser Eigentum zurück.«
    »Aber Magellan, das werden sie uns doch nicht freiwillig geben, sie werden schießen«, sagte Kolosseum melancholisch.
    »Na und, wir schießen eben auch. Wozu habe ich euch das beigebracht?«
    »Wenn wir auch nur einen von ihnen töten, hat das unvermeidlich Blutrache zur Folge, das ist bei denen so üblich. Und das hört dann nie mehr auf . . .«
    Magellan schlug entschlossen mit der Hand durch die Luft:
    »Wir versuchen, die Sache ohne Opfer zu erledigen. Und wenn uns das nicht gelingt, müssen wir eben alle männlichen Tscherkessen auslöschen, alle, bis auf den letzten. Ansonsten werden wir sie niemals los, Kolosseum hat Recht.«
    »Alle?«, fragte Malke mit bebender Stimme. »Sogar die kleinen Jungs?«
    Jemand lachte nervös.
    Sascha Brün sagte:
    »Ich könnte ja kaum auf einen Erwachsenen schießen, schon gar nicht auf ein Kind. Hör auf, Magellan, das hier ist das Leben, kein Roman von James Fenimore Cooper.«
    »Genau deshalb, Sascha, genau weil es kein Roman ist, sondern das Leben. Und das Leben musst du besiegen, oder es besiegt dich.« Magellan schüttelte unwirsch den Kopf, eine kastanienbraune Strähne fiel ihm in die Stirn, und Malke schmolz dahin – wie schön er doch war! »Die Araber nennen die Juden uljad-el-mot, ›Söhne des Todes‹, weil wir uns vor allem und jedem fürchten. Es ist Zeit, den Arabern, Tscherkessen, Beduinen und sonst wem zu zeigen, dass neue Juden gekommen sind, die sich vor nichts fürchten. Besser gesagt, nicht neue, sondern die alten, jene, denen dieses Land vor zwei-, dreitausend Jahren gehörte. Wenn ihr nicht auf Menschen schießen könnt, dann werdet ihr es eben lernen. Also, wer macht mit?«
    Malke hob sofort die Hand und rief:
    »Ich!«
    Damit waren natürlich die Männer unter Zugzwang, keiner wollte neben einem Mädchen als Feigling dastehen. Einer nach dem anderen hoben sie die Hand.
    »Ich habe nie daran gezweifelt«, sagte Magellan und zuckte mit

Weitere Kostenlose Bücher