Pelagia und der rote Hahn
Angst aufkommen konnte – trat der Staatsanwalt ins Leere.
»Iih-hh!!!« – Ein wilder Schrei löste sich aus seiner Kehle, aber im nächsten Augenblick musste er den Mund schon wieder zuklappen, weil er in dem muffigen, tintenschwarzen Wasser untertauchte. Er traf sofort auf Grund, stieß sich kräftig mit beiden Beinen von dem weichen Boden ab und schoss an die Oberfläche; er spuckte ein wenig schleimigen Tang, während er sich orientierte, und begann dann zum Ufer zu springen. Schwimmen konnte er nämlich nicht, weil er in der einen Hand seinen »Lefoche«, in der anderen die Flasche hielt. Also machte er es wie ein Grashüpfer, bloß im Wasser: untertauchen, mit den Beinen abstoßen, auftauchen, Luft holen, untertauchen usw. Das Wasser war Gott sei Dank nicht sehr tief, sodass seine Hände immer an der Oberfläche blieben.
Nach fünf, sechs Hüpfern hatte er auf diese Art flacheres Wasser erreicht. Er stieß mit den Fingerknöcheln gegen etwas Glitschiges, Rundes, Weiches – und schrie laut auf, weil ihm gleich die Geschichte von der Wasserschlange einfiel. Aber weder Flasche noch Revolver ließ er fallen.
Gott sei Dank war es dann keine Schlange, sondern nur die alten, morschen Baumstämme, mit denen die Seitenwände des Burggrabens verkleidet waren.
Irgendwie gelang es ihm, aus dem Wasser herauszukommen, und so schnell es ging, schleppte er sich zu den nächststehenden Büschen. Und erst hier, halbwegs in Sicherheit, erlaubte sich Berditschewski einen Blick zurück zum Schloss.
Aus dem erleuchteten Fenster (es war gar nicht so hoch, wie es ihm von oben vorgekommen war) ragten zwei Köpfe heraus. Grade zwängte sich ein dritter dazwischen.
»Hinterher!«, erschallte die Stimme des Grafen. »Tausend Rubel für den, der ihn fängt!«
Der Staatsanwalt fühlte sich absolut nicht in der Lage, jetzt ein Wettrennen durch den nächtlichen Wald zu veranstalten; der Sprung aus dem Fenster samt anschließendem Hüpfbad in dem kalten Wasser hatten jeglichen Hang zu körperlicher Ertüchtigung in ihm zum Erliegen gebracht. Am besten, dachte er, würde er der übereifrigen Dienerschaft ein wenig das Mütchen kühlen, um sie daran zu erinnern, dass ihr Leben ihnen mehr wert war als tausend Silberrubel.
Matwej Benzionowitsch schüttelte das Wasser aus dem Revolverlauf und schoss dann zweimal in die Wand.
Augenblicklich verschwanden die Köpfe aus dem erleuchteten Viereck.
Jemand brüllte: »Macht das Licht aus! Er sieht uns! Der Lump schießt!«
Die Lichter gingen aus – zuerst im Salon, dann im ganzen ersten Stock.
So ist ’s fein.
Schmutzig und nass bahnte sich Berditschewski seinen Weg durchs Gestrüpp und erreichte schließlich den gepflasterten Weg. Dort nahm er erst mal einen kräftigen Schluck aus der Flasche und trabte dann im Laufschritt weiter, um sich aufzuwärmen.
So bergab lief es sich leicht und angenehm – fünfzig Schritte laufen, dann einen kleinen Schluck, wieder fünfzig Schritte laufen, noch ein kleiner Schluck.
Die Laune des Staatsrats war einfach hervorragend.
Erst bei Tagesanbruch erreichte er Shitomir, auf dem Fuhrwerk eines Bauern, der ihn unterwegs aufgelesen hatte.
In seinem Zimmer wusch er sich und kleidete sich um. Dann kaufte er beim Nachtportier eine Flasche Portwein – Bückware, versteht sich – und machte sich damit ohne spürbaren Skrupel der Mittäterschaft bei einem Verstoß gegen das Gesetz zur Regelung des Weinhandels schuldig.
Die Hälfte von dem Wein süffelte er auf der Stelle aus – direkt aus der Flasche, wie er sich ’s neuerdings angewöhnt hatte. Verblüffenderweise wurde er davon nicht betrunken, sondern sein Kopf wurde, im Gegenteil, immer klarer.
Hinter den Fenstern brach der Tag an. Der Staatsanwalt saß in Hemdsärmeln und Hosenträgern auf seinem Bett, schlürfte genüsslich Portwein aus der Flasche und überdachte sein weiteres Vorgehen.
Es hatte vermutlich keinen Sinn, zur Polizei zu gehen, Tscharnokuzki würde natürlich seine Geheimsammlung im Laufe der Nacht entweder beiseite geschafft oder vielleicht sogar vernichtet haben (was hatte er dort wohl für ekliges Zeug?). Diesen Widerling würde er sich später gründlich vornehmen, aber dafür müsste er den Generalgouverneur in Kiew einschalten. Eine ziemlich umständliche und langwierige Angelegenheit, und wie das enden würde, war auch schon klar: nicht etwa im Straflager, sondern in einer komfortablen psychiatrischen Anstalt.
Jetzt aber gab es erst einmal Wichtigeres zu erledigen.
Punkt
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