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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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körperlicher Kraft abverlangt, und die unvermeidliche Folge waren Herzschwäche und Nervenzittern gewesen. Jetzt aber spürte Matwej Benzionowitsch nicht die geringste Anspannung, er fuchtelte vergnügt mit dem Revolver und fühlte sich einfach prächtig.
    Als Kind hatte er manches Mal, wenn er schniefend mit blutender Nase nach Hause lief, sich vorgestellt, wie er, der Schuhmachersohn und einzige Jude im ganzen Handwerkerviertel, sich eines Tages heimlich aus der Stadt davonstahl, in den Militärdienst eintrat und als Offizier mit Epauletten und Säbel zurückkehrte. Dann würde er es allen zeigen, dem Waska Pratschkin und dem gemeinen Tschucha. Sie würden vor ihm kriechen und betteln: »Mordka, bitte, bitte, lass uns leben!« Und er schwingt den Säbel und sagt: »Für euch bin ich nicht Mordka, sondern Leutnant Mordekaj Berditschewski!« Und dann verzeiht er ihnen großmütig.
    Und so war es ja auch fast gekommen, bloß war Matwej Benzionowitsch in den dreißig Jahren, die seitdem vergangen waren, wohl ein wenig hartherzig geworden – denn dem Grafen Tscharnokuzki mochte er partout nicht verzeihen, er wollte diese schändliche Kreatur töten, gleich hier und jetzt; und nach Möglichkeit nicht schnell und schmerzlos, sondern es sollte lange dauern, und er sollte sich vor Schmerzen winden.
    Dieser Wunsch stand dem Staatsanwalt anscheinend sehr deutlich ins Gesicht geschrieben, denn Seine Erlaucht ließ plötzlich den Pfirsich fallen und fasste nach dem Rand des Tisches, als wären ihm auf einmal die Knie weich geworden.
    »Wenn Sie mich erschießen, werden Sie niemals lebend aus dem Schloss herauskommen«, sagte der Magnat hastig.
    Berditschewski betrachtete seinen nassen Daumen und verzog das Gesicht.
    »Ich habe auch keinesfalls vor, mitten in der Nacht irgendwo draußen in der Gegend herumzulaufen. Zuallererst werde ich Ihnen den Garaus machen, weil Ihre bloße Existenz eine Beleidigung für das Universum ist. Dann wird Ihr liebenswürdiger Filip, vorausgesetzt, er hat nicht den Wunsch, sich eine weitere Kugel einzufangen, mit mir zum Telegrafen gehen und eine Depesche an den hiesigen Polizeichef abschicken. Nicht wahr, Filii, das machst du doch, oder?«
    Der Lakai nickte, ohne einen Mucks von sich zu geben.
    »Na siehst du. Und dort werde ich mich verbarrikadieren und auf die Polizei warten.«
    »Für den Mord am Grafen Tscharnokuzki wird man Sie ins Zuchthaus schicken!«
    »So? Nachdem die Polizei Ihre wunderbare geheime Sammlung entdeckt hat? Einen Orden werde ich kriegen, kein Zuchthaus! Also!«
    Matwej Benzionowitsch hob den Revolver und zielte, zuerst auf den Bauch, dann nach kurzer Besinnung auf die Stirn des Grafen.
    Tscharnokuzkis ohnehin weißes Gesicht wurde kreidebleich. Die eine Hälfte seines rabenschwarzen Schnurrbarts hing schlaff nach unten, die andere kämpfte tapfer um Haltung.
    »Was . . . was wollen Sie von mir?«, stammelte der Herr von Schloss Schwarzeneck.
    »Wir werden jetzt ein kleines hochnotpeinliches Verhör durchführen, wir zwei beiden«, verkündete Berditschewski. »Oh, ich werde sehr, sehr peinlich zu Ihnen sein! Ich werde all meine Selbstbeherrschung benötigen, um Ihnen nicht eine Kugel in den verfaulten Schädel zu schießen.«
    Der Blick des Grafen richtete sich abwechselnd mal auf das wutverzerrte Gesicht des Staatsrats, mal auf die in seiner unruhigen Hand hin und her schwankende Pistolenmündung, und er stieß hastig hervor:
    »Ich werde alle Ihre Fragen beantworten. Aber bitte, bewahren Sie Ihre Beherrschung. Ist der Abzug auch nicht zu locker? Trinken Sie doch einen Schluck Mosel, der beruhigt.«
    Die Idee erschien Matwej Benzionowitsch gar nicht so schlecht. Ohne den Grafen aus den Augen zu lassen, schob er sich seitwärts zum Tisch, tastete nach der Flasche (ob Mosel oder nicht Mosel, das war ihm im Augenblick schnuppe), setzte sie an und trank in langen, durstigen Zügen.
    Zum ersten Mal in seinem Leben trank Berditschewski Wein direkt aus der Flasche. Verblüffenderweise schmeckte er viel besser als aus dem Glas. Fürwahr, eine Nacht der wundersamen Entdeckungen!
    Er stellte die Flasche ab und wischte sich die Lippen – nicht etwa mit dem Taschentuch, nein, einfach mit dem Ärmel! Ah! Gut! Jetzt weiter im Verhör.
    »Welche Beziehung haben Sie zu Stabsrittmeister Razewitsch?«
    »Er ist mein Liebhaber«, antwortete der Graf, ohne eine Sekunde zu zögern. »Das heißt, er war mein Liebhaber . . . Ich habe seit einem halben Jahr nichts mehr von ihm gehört – bis

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