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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Chaussee hervorgekrochen, verschlang den armseligen Uferweg, auf dem sie daherkamen, mit einem Happs und bog nach Süden ab, in Richtung Meer. Salachs bejammernswerte Gäule wurden plötzlich putzmunter und ließen die Hufe eifrig über das Pflaster klackern. Das Rütteln und Schütteln der vergangenen Tage war vergessen, und der Hantur rollte jetzt mindestens zweimal so schnell dahin.
    Polina Andrejewna kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.
    Auf einmal war auch die Welt um sie herum nicht mehr so verlassen und menschenleer. Immer wieder kamen ihnen Wagen entgegen, immer die gleichen, von zottelbeinigen Percheron-Pferden gezogene weiße Planwagen, auf denen ein stolzes Emblem prangte: eine Abbildung der Akropolis und die Buchstaben »S&G Ltd.«. Pelagia zerbrach sich den Kopf, was das wohl bedeuten mochte, und schließlich kam sie darauf: »Sodom and Gomorrha limited«, logisch. Und gleich lief es ihr kalt den Rücken herunter.
    Kurz nach Mittag erreichten sie die arabische Siedlung Bet-Kebir. Pelagia hatte auf ihrer Reise diese eintönigen einheimischen Dörfer, die sich glichen wie ein Ei dem anderen, schon bis zum Überdruss kennen gelernt: fensterlose, kaum mannshohe Lehmhütten, Wände und Dach mit den unvermeidlichen Fladen aus getrocknetem Kamelmist bekleistert, die man hier als Heizmaterial benutzte; die Gassen schmutzig und eng, immer stürzte sich sofort eine Meute nackter Kinder, »Bakschisch, Bakschisch« schreiend, auf die Reisenden, und es herrschte ein solcher Gestank, dass man sich permanent nur die Nase zuhalten mochte.
    Und plötzlich fuhren sie auf einer sauber gepflasterten Straße zwischen neuen, weiß gestrichenen Häuschen dahin, mit hübschen Veranden und blühenden Sträuchern davor. Nirgends ein Bettler, keine zerlumpten Gestalten, keine Aussätzigen. Und der Hof der Herberge, in den Salach einbog, um den weiteren Weg zu erfragen, kam der von der Reise zermürbten Pelagia vor wie ein wahrer Palast.
    Sie wusch sich unter einer richtigen Dusche, trank starken Tee, kämmte sich die Haare und zog frische Wäsche an. Salach führte unterdessen wichtige Verhandlungen mit dem Hausherrn. Er brauchte genau acht Tassen Kaffee, um alles herauszufragen, was Pelagia ihm aufgetragen hatte.
    Es stellte sich heraus, dass es von Bet-Kebir aus gar nicht mehr weit bis zu der neu errichteten Stadt Usdum (so sagte man »Sodom« auf Arabisch) war, nur etwa fünfzehn Werst. Allerdings hatten Frauen dort keinen Zutritt. Die Luti waren gute Menschen, sie zahlten anständig für Arbeit und Waren, aber sie hatten ihre eigenen Regeln.
    »Was meint er mit ›Luti‹?«, fragte Polina Andrejewna.
    »Luti, das heißt das Volk Luts. Von dem Lut, der aus Usdum fortging, als die Stadt abbrannte.«
    Aha, Lots Volk, verstand Pelagia, damit sind also Homosexuelle gemeint.
    Weiter erklärte ihr Salach, die Arbeiter aus Bet-Kebir besäßen einen Passierschein für Usdum, und Frauen dürften sich der Stadt nur bis zu einem Wachtposten nähern, der sich in fünf Werst Entfernung von der Stadt befinde. Es gebe nur einen einzigen Zufahrtsweg, der zwischen dem See und dem Berg Djebel-Usdum entlangführe. Der Wachtposten sei von türkischen Soldaten besetzt, ihr Anführer heiße Said-Bej, und sie würden die Straße sehr gut bewachen und niemals schlafen, nicht einmal nachts, was sehr erstaunlich sei bei türkischen Soldaten; Bakschisch nähmen sie auch keins, was doppelt erstaunlich sei, und alles nur deshalb, weil die Luti sie so gut bezahlten. Früher hätte Said-Bej mit seinen Soldaten nämlich irgendwo mitten in der Wüste in elenden Zelten gehaust, und sie hätten Schmuggler gejagt und sehr, sehr schlecht gelebt. Aber dann hätten die Luti den ehrwürdigen Jüs-Baschi gebeten, seinen Posten dort an der Straße aufzustellen, und jetzt lebten die Türken sehr, sehr gut.
    Das waren ja recht unerfreuliche Informationen.
    »Kann man diesen Wachtposten nicht durch die Wüste umgehen, auf der anderen Seite des Berges?«
    Salach begab sich wieder zum Hausherrn, um noch einen Kaffee zu trinken.
    »Nein, geht nich«, sagte er, als er zurückkam. »Tagsüber Soldaten gucken von Berg, mit Turm. Und nachts man kann nich durch die Wüste, nich fahren, nich gehen. Überall Löcher und Felsen, brichst du Beine, knackst du Hals.«
    »Sag dem Hausherrn, dass ich zwanzig Franken zahle, wenn man mich an dem Posten vorbeibringt.«
    Der treue Gehilfe trat neuerlich in Verhandlungen ein. Vier Tassen Kaffee später erschien er mit zufriedener und

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