Pelagia und der rote Hahn
nicht zu verstellen, man verstand einander ohne viele Worte, manchmal ohne ein einziges Wort – und darauf kam es an. Hier lebte man unter seinesgleichen, wo es den Konflikt der Gegensätze nicht gab und deshalb auch keine Zwietracht. Nur Frieden und Glückseligkeit.
So redete sie auf den fremden Menschen ein und ereiferte sich richtig dabei, denn seine Worte hatten sie bis ins Mark getroffen.
Er hörte ihr ganz ruhig zu, aber dann schüttelte er traurig den Kopf und sagte: »Trotzdem gibt es keinen Funken, und wo es keinen Funken gibt, gibt es keinen Gott.«
Gestern hatte Irodiada ihm widersprochen und auf ihrer Meinung beharrt. Heute aber, als der falsche Manuila nicht mehr da war, gingen ihr seine Worte wieder durch den Kopf und vertrieben die Musik.
Neuerdings verbrachte Ljowuschka immer mehr Zeit mit Salomeja. Nein, sie war nicht eifersüchtig, überhaupt nicht, es war so, wie der Wanderer gesagt hatte: Sie hatte Angst vor der Einsamkeit. Auch Antinoi war kaum mehr zu Hause, er hatte neue Interessen, neue Freunde. Vielleicht waren sie für ihn auch mehr als Freunde . . .
Dabei war gerade erst ein Monat vergangen, seit sie hier, im Paradies der Männer, angekommen waren. In Sodom, sagte man, blieb eine Familie nicht lange zusammen. Aber was blieb dann?
Sehr viel, versuchte Irodiada sich Mut zuzusprechen. Ihr blieben immer noch der Tanz und der Garten.
Apropos Gärten.
Höchste Zeit, den Päonien und Mispeln einen Besuch abzustatten und einen Blick auf die Rosen zu werfen, ob Dshemal es nicht wieder übertrieben hat mit dem Gießen.
Irodiada verscheuchte die trüben Gedanken, warf einen spinnwebfeinen Chiton über und band die Haare mit einem blauen Band zusammen.
Die Sonne brannte immer noch erbarmungslos, aber von den Abarim-Bergen wehte schon ein kühler Wind herüber und kündigte die Abendfrische an.
Während sie die schattige Straße zum Westtor entlangging, den Entgegenkommenden freundlich zunickte, diesen und jenen küsste, war sie in Gedanken schon ganz bei ihrem Garten. Bevor die Sonne unterging, mussten noch die Beete aufgelockert werden, damit die Setzlinge atmen konnten. Morgen sollte eine Lieferung Regenwürmer aus Haifa kommen, dann konnte man endlich die Pfirsichallee ernsthaft in Angriff nehmen. In ein, zwei Jahren würde es in Sodom so prächtige Gärten geben, wie sie diese unglückselige Gegend nicht einmal zu Lots Zeiten gekannt hatte.
Dafür lohnte es sich zu leben! Nicht lustlosen Gymnasiasten Latein eintrichtern, sondern Gärten und Blumenbeete anlegen! Obwohl, Russland war natürlich ein Paradies für Pflanzen, dort gab es Wasser in Hülle und Fülle und fruchtbare Erde, nicht so wie hier.
Allerdings, solche Schwarzerde, wie sie hier angekarrt wurde, gab es nicht einmal in Russland. Die kostete aber auch ein immenses Geld. Zum Glück war Mister Cyrus sehr reich.
Als sie die Stadtmauern hinter sich gelassen hatte, schritt Irodiada energisch aus. Die Hitze vollkommen vergessend, lief sie geschäftig zwischen den Bäumen, Sträuchern und Beeten hin und her. Sie las dem Obergärtner die Leviten, der die Rosen, genau wie sie vermutet hatte, alle gleich viel gegossen hatte, obwohl doch die auf der östlichen Seite, wo nachts eine Brise wehte, viel weniger Wasser brauchten. Dshemal hörte ihr aufmerksam zu, er wusste, dass diesem alten Luti von Allah die besondere Gabe verliehen war, das Leben der Pflanzen zu verstehen, und er achtete diese Begabung.
Auf der Universität hatte Irodiada neben anderen überflüssigen Weisheiten auch Althebräisch gelernt, deshalb fiel ihr das Arabische jetzt erstaunlich leicht. Schon nach zwei Wochen gemeinsamer Arbeit hatten Dshemal und sie sich hervorragend verstanden.
»Was soll das denn?«, fragte Irodiada und deutete unzufrieden auf das bewusste Fuhrwerk mit der Schwarzerde. »Wo ist der Fuhrmann? Warum hat er nicht abgeladen?«
»Dort ist eine Frau«, sagte Dshemal und zeigte auf eine Gruppe von Rosensträuchern. »Wie die wohl hierher gekommen ist? Sadyk ist fortgegangen, um es der Wache zu melden.«
Er verbeugte sich und ging, um die Beete zu gießen.
Irodiada wandte sich um. Tatsächlich, hinter einem der Sträucher versteckte sich jemand.
Als sie näher kam, sah sie, dass es wahrhaftig eine Frau war, eine richtige Frau, nicht etwa ein verkleideter Mann, das sah man sofort. Diese Haltung, diese spezielle Neigung des Kopfes, die leicht abgespreizte Hand, das kann man nicht nachmachen, egal, wie sehr man sich auch bemüht.
Die sollte
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