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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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unschlüssig, ob sie die Wahrheit sagen sollte oder nicht.
    Sie sagte die Wahrheit.
    »Wissen Sie . . . Ich muss unbedingt jemanden finden.«
    »Wen denn?«
    »Es handelt sich um einen sehr sonderbaren Menschen. Ich meine, er kleidet sich seltsam und spricht seltsam . . . In Bet-Kerim hat man mir berichtet, er sei dort gewesen und gestern früh nach Sodom aufgebrochen. Da dachte ich, er wäre vielleicht noch hier . . . Es ist so ein Magerer, mit zerzaustem Bart, und er trägt einen weißen Kittel mit blauem Gürtel . . .«
    »Manuila? Suchen Sie einen Mann, der sich Manuila nennt?«, rief der Perversling mit veränderter, tiefer Stimme.
    »Ja! Haben Sie ihn gesehen? Sagen Sie doch, haben Sie ihn gesehen? Ich muss unbedingt mit ihm sprechen! Wenn Sie ihn hierher bringen könnten . . .«
    »Das geht nicht.«
    »Was soll das heißen?«, stöhnte die Nonne. »Was haben Sie mit ihm gemacht?«
    Jakow Michailowitsch nahm schnell wieder den Verkleideten ins Visier und sah, wie der in Richtung Meer deutete.
    »Er ist mit dem Boot nach Ejn-Dshidi gefahren. Schon bei Tagesanbruch, bevor die Hitze einsetzt.«
    »Gott sei Dank!«, rief seltsamerweise die Nonne. »Ejn-Dshidi, das ist doch eine Oase im Norden von Bet-Kerim? Wir sind dort vorbeigekommen.«
    »Ja, von dort aus führt eine Straße nach Jerusalem.«
    »Also will er nach Jerusalem?«
    Der Sodomit zuckte mit den Achseln.
    »Er hat etwas von irgendeinem Garten erzählt.«
    »Um Gottes willen, versuchen Sie, sich zu erinnern«, rief die Nonne wieder. »Es ist sehr wichtig!«
    Jakow Michailowitsch war ebenfalls sehr gespannt. Er hielt das Rohr nicht mehr ans Auge, sondern ans Ohr.
    Irodiada sagte unsicher:
    »Ich glaube, er hat gesagt: ›In der Nacht auf Freitag muss ich unbedingt in einem ganz bestimmten Garten sein.‹«
    Na komm schon, komm schon, ermunterte sie Jakow Michailowitsch stumm. Erinnere dich.
    »Das ist alles. Mehr hat er nicht gesagt.«
    »Ach!«, rief die Rothaarige aus.
    Der unterirdische Beobachter setzte seine Röhre rasch wieder ans Auge. Die Nonne hatte die Hand auf den Mund gelegt, die Augenbrauen waren fast bis zum Haaransatz hinaufgeklettert.
    War das Erstaunen? Oder war ihr irgendetwas eingefallen?
    Jakow Michailowitsch wusste selbstverständlich nicht, was das für ein Garten sein sollte, aber das machte ja nichts. Hauptsache, du hast es begriffen, mein Goldstück, flüsterte er dem Rotfuchs zu und pustete einen Regenwurm von seiner Unterlippe.
    Die Nacht auf Freitag, war das morgen oder übermorgen? Bei dieser ganzen Herumwanderei kam er allmählich mit den Wochentagen durcheinander.
    Aber das ging anderen wohl genauso.
    »Was ist heut für ein Tag? Mittwoch?«, fragte die Nonne.
    »Ich weiß es nicht, meine Liebe. Wir richten uns hier nach dem antiken Kalender. Heute ist der Tag des Mondes, morgen der Tag des Mars, übermorgen . . .«
    »Ja, ja, Mittwoch«, unterbrach sie die Rote. »Sagen Sie, ob ich vielleicht Ihr Boot benutzen dürfte?«
    »Wo denken Sie hin! Sie müssen Zusehen, dass Sie schleunigst von hier fortkommen, sonst wird man Sie arrestieren! Es ist schon jemand unterwegs, um die Wachen zu holen. Das ist doch alles Privatbesitz und wird sehr streng bewacht.«
    »Wie weit ist es von hier aus bis nach Jerusalem?«, fragte die Nonne, die schon gar nicht mehr zuhörte.
    »O Gott, das weiß ich nicht genau. So hundert, hundertfünfzig Werst vielleicht.«
    »Salach, schaffen wir das bis morgen Abend?«
    »Werde ich Pferde verderben«, brummte der Araber. »Ganze Woche werden nich funktionieren.«
    »Wie viel kostest du für eine Woche?«
    »Zweihundert Franken.«
    »Räuber!«
    »Für Ehefrau umsonst«, antwortete der Araber nebulös.
    »Na gut, fahren wir los!«
    »Was gut? Gut zweihundert, oder gut Ehefrau?«
    »Das sehen wir dann! Los jetzt!«
    Damit verschwand die Nonne aus Jakow Michailowitschs Blickfeld. Eine halbe Minute später hörte er das Geklapper von Hufen und das Quietschen von Rädern. Auf ging’s nach Jerusalem.
    Jetzt war es aber langsam Zeit, aus dieser verflixten Dreckladung herauszukommen. Ochochoch, hundertfünfzig Werst auf Schusters Rappen, und dann noch quer durch die Wüste . . . Na ja, das kriegen wir schon gebacken.
    In Bet-Kerim konnte er sich ja auch wieder so einen Karren organisieren, am besten mit einer Plane drüber. Davon konnte er auch gleich mehrere mitnehmen, in unterschiedlichen Farben, die würde er ab und zu wechseln, damit sie nicht merkte, dass sie verfolgt wurde.
    »Also mach schon,

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