Pelagia und der rote Hahn
nicht mehr so aufmerksam zu folgen wie bisher. Ein panischer Gedanke schoss ihm durch den Kopf: Hier und jetzt, in dieser Minute, entscheidet sich dein Schicksal.
Konstantin Petrowitsch hatte indes die Befangenheit seines Zuhörers falsch verstanden.
»Man hat Ihnen sicherlich erzählt, ich sei semitophob, ein Judenfresser? Das ist nicht wahr. Ich bin weit davon entfernt, die Menschen nach ihrer Abstammung zu beurteilen, und ich bin auch kein Feind der Juden, sondern nur des jüdischen Glaubens! Denn der jüdische Glaube ist ein giftiges Kraut, welches, da es aus derselben Wurzel wie das Christentum sprießt, hundertmal gefährlicher ist als der Islam, der Buddhismus oder sogar das Heidentum. Der schlimmste Feind eines Menschen ist niemals der Fremde, sondern der, der ihm nahe steht, der, mit dem er verwandtschaftlich verbunden ist! Aus diesem Grunde ist ein Jude, der dem falschen Glauben seiner Väter entsagt und den christlichen Glauben angenommen hat, so wie Sie, Matwej Benzionowitsch, mir so viel mehr wert als ein Russe, den nur die Gnade der Geburt in den Schoß des rechten Glaubens gelegt hat. Doch ich sehe, Sie möchten mich etwas fragen. Bitte, jetzt können Sie fragen.«
»Eure Exzellenz . . .«, begann Matwej Benzionowitsch, wobei er versuchte, das Zittern in seiner Stimme zu beherrschen.
»Konstantin Petrowitsch«, korrigierte der Oberprokuror milde.
»Gut. . . Konstantin Petrowitsch, das mit der Verschwörung habe ich nicht ganz verstanden. Meinten Sie das im übertragenen Sinne, oder . . .«
»Im allerwörtlichsten Sinne. Aber unsere Verschwörung richtet sich nicht gegen die bestehende Gesellschaftsordnung, im Gegenteil, sie will sie retten und bewahren. Unser Land steht am Rande des Abgrunds, und wenn es nicht irgendwo Halt findet, dann wird es abstürzen und zugrunde gehen, und alles ist zu Ende. Eine mächtige satanische Kraft zieht unsere leidgeprüfte Heimat ins Verderben, und nur wenige gibt es, die dem Unheil Widerstand leisten. Die Uneinigkeit im Volke, der Niedergang der Moral und der Unglauben – welcher das schlimmste dieser Übel ist –, das ist die Gogol‘sche Troika, die Russland in den Abgrund reißt! Und wir sind nahe daran, für-wahr, wir sind nahe daran! Und er speit Feuer und Schwefel!«
Der Übergang von der nüchternen rationalen Sprechweise zu prophetischem Pathos gelang Kontantin Petrowitsch ganz selbstverständlich und ohne jede Anstrengung; der Oberprokuror besaß ohne Zweifel eine außergewöhnliche Rednergabe. Sein Zuhörer hatte keine Chance, als ihn diese geballte Ladung geistiger Energie traf. Er braucht auch gar kein großes Auditorium für seine Auftritte, dachte Berditschewski, er braucht keine Menschenmassen. Ein einziger Mensch ist ihm Auditorium genug, denn dieser Mensch ist der Autokrat Allrusslands.
Matwej Benzionowitsch fühlte sich wider Willen geschmeichelt. Für ihn, einen subalternen Beamten, verausgabte Pobedin persönlich die ganze Glut seiner staatsmännischen Seele?
In einem schwachen Versuch, der magischen Kraft des Oberprokurors zu widerstehen, entgegnete der Staatsrat:
»Verzeihen Sie, aber ich verstehe nicht, was . . .« Er verhaspelte sich und fing von vorne an; jetzt kam es darauf an, sich sehr genau zu überlegen, was er sagte. »Wenn meine Theorie richtig ist, dann zielen all diese . . . Handlungen Herrn Dolinins . . . darauf ab, um jeden Preis den sektiererischen Propheten Manuila zu vernichten. Um dieses Ziel zu erreichen und dabei zugleich alle Spuren zu beseitigen, schreckte der Herr Wirkliche Staatsrat vor keinem Mittel zurück. Eine unschuldige Nonne muss beseitigt werden – bitte sehr! Sogar ein harmloses Bauernmädchen hat er nicht geschont!«
»Was denn für ein Bauernmädchen?«, unterbrach ihn Pobedin und sah Sergej Sergejewitsch missmutig an. »Von der Nonne weiß ich, aber von einem Mädchen nicht.«
Dolinin antwortete knapp:
»Das war Razewitsch. Er war ohne Zweifel ein absoluter Profi, aber manchmal tat er etwas zu viel des Guten. Außerdem war er, wie sich zeigte, im Kern verfault. Ich sagte ja bereits: Es war mein Fehler, dass ich ihn für unsere Sache angeworben habe.«
»Fehler macht jeder«, seufzte der Oberprokuror. »Gott verzeiht, wenn es nur ehrlich gemeint war. Fahren Sie fort, Matwej Benzionowitsch.«
»Also, was ich fragen wollte . . . Was ist denn so Besonderes an diesem unbedeutenden Schwindler Manuila? Warum sind diese ganzen . . . warum ist all das notwendig?«
Konstantin Petrowitsch nickte und
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