Pelagia und der rote Hahn
Ablebens an die Presse geben müssen. Das ist natürlich eine großartige Werbung für Manuila! Mal wird er umgebracht, mal wird er wieder lebendig.«
Er spuckte vor Verdruss – nicht richtig natürlich, er war ja schließlich ein intelligenter Mensch, sondern nur symbolisch – das heißt, er sagte »Pfui!«
»Es gibt keinen Grund, hier weiter unsere Zeit zu vertrödeln, wir reisen noch heute ab.«
»So kurz vor Einbruch der Nacht?« Pelagia, die gerade versuchte, sich in den mondbeschienenen Sträßchen Stroganowkas zu orientieren, fuhr erschrocken auf. »Wo ist denn hier bloß die Mühle?«
»Ach was, wir werden uns schon nicht verirren. Das hat ohnehin alles schon viel zu lange gedauert. Ich dachte, es handele sich um eine Staatsangelegenheit, und herausgekommen ist ein blauer Wind.«
Aha, das ist also ihr Versteck, dachte die Nonne, als sie ein würfelförmiges Haus am Flussufer entdeckte und meinte, das Knarren eines Mühlrades zu hören.
»Ich kann nicht einfach so wegfahren«, sagte sie bestimmt. »Der Dorfälteste will keinen Priester aus Stariza kommen lassen, er sagt, man könne keine Pferde erübrigen, und außerdem koste es Geld. Was soll jetzt werden, soll der Mensch wie ein Hund verscharrt werden? Ich kann zwar nicht das Totenamt abhalten, dazu bin ich nicht befugt, aber wenigstens will ich ein Gebet am Grabe sprechen. Das ist meine Pflicht. Und Sie sollten sich keine Vorwürfe machen, mein Herr. Wären wir nicht hierher gekommen, hätten Sie Ihren Vorgesetzten berichtet, Manuila sei tot, und irgendwann hätte sich dann herausgestellt, dass es gar nicht stimmt. Das hätte Sie in eine peinliche Lage gebracht.«
»Das ist natürlich richtig, aber trotzdem . . .«, brummte Sergej Sergejewitsch, den die erfolglose Expedition anscheinend ernstlich verstimmt hatte. Sicher hatte sich der ehrgeizige Reformator schon auf den Titelseiten der Zeitungen gesehen. »Also gut. Dann bringen Sie Scheluchin gleich morgen unter die Erde. Aber so früh wie möglich, bitte. Verflixt, schade um die Zeit!«
Zum ersten Mal über den Hahn
Pelagia wünschte dem Untersuchungsführer eine gute Nacht, sagte, sie werde sich selber um ihre Unterkunft kümmern, und eilte zum Fluss.
Sie lief die Dorfstraße entlang, an geflochtenen Zäunen vorbei, hinter denen leise die Stroganowkaer Hunde knurrten, die nichts mit gewöhnlichen Dorfkötern gemein hatten, sondern eher wie Wölfe aussahen. Dann ließ sie die Häuser hinter sich und trat auf das freie Grasland hinaus. Das Rauschen des Flusses verstärkte sich. Als sie fast bei der Mühle angelangt war, einem aus massiven Holzstämmen gefügten Gebäude, kam ihr eine schmächtige Gestalt entgegengelaufen.
Das Mädchen stürzte ungeduldig auf die Schwester zu, klammerte sich mit ihren rauen Händen an deren Arm und fragte:
»Lebt er? Lebt er noch?«
»Wer?«, fragte Pelagia verwundert.
»Amanuel.«
»Du meinst Manuila?«
»Amanuel«, wiederholte Dummka. »Er heißt Amanuel.«
»Woher weißt du das denn?«
»Er hat so gemacht« – das Mädchen tippte sich mit dem Finger auf die Brust – »und gesagt: Amanuel, Amanuel. Er hat noch viel gesagt, aber ich hab nicht verstanden. Ich war ja noch klein und ganz dumm.«
Wahrscheinlich Manuel, überlegte Pelagia. Und daraus haben die einfachen Leute später Manuila gemacht, als der geheimnisvolle »Tatar« über die Dörfer zog und predigte.
»Er lebt, dein Manuel, er lebt«, beruhigte sie Dummka. »Ihm ist nichts geschehen. Weißt du was, erzähl mir doch mal, wo du ihn gefunden hast.«
»Ich hab ihn ja gar nicht gefunden, das war Beljanka.«
Und Dummka erzählte Pelagia eine wundersame Geschichte. Die Nonne hörte ihr gespannt zu und wunderte sich, wie gut sich die vermeintlich Stumme ausdrücken konnte – viel gewandter und farbiger als der Dorfälteste.
Die Geschichte aber ging so:
Es begann damit, dass Beljanka aus dem Geflügelhof der Gemeinde, den die kleine Dummka betreute, weggelaufen war. Beljanka war eine Legehenne mit äußerst »knurrichm«, das heißt zänkischem Charakter. Der Geflügelhof befand sich auf der anderen Seite des Flusses, also konnte sich die Flüchtige entweder irgendwo im Gestrüpp verkrochen haben, oder man musste sie noch ein Stück weiter weg, bei den »Steinen« (Felsen), suchen.
Dummka durchkämmte sämtliche Sträucher in der Umgebung, aber Beljanka war nicht zu finden. Zu allem Unglück gehörte die Legehenne dem ältesten Sohn des Dorfältesten, Donka, der ein übler Raufbold und
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