Pelagia und der rote Hahn
schätzungsweise vierzehn Jahre alt sein, war aber so klein und zurückgeblieben, dass man sie für zehn hätte halten können. Sie verstand nichts von dem, was sie gefragt wurde, und gab nur unartikulierte Laute von sich. Dabei kratzte sie sich die ganze Zeit mit schmutzigen Fingern ihren wirren Haarschopf und zog die Nase hoch.
Schließlich machte Dolinin eine resignierte Geste und gab auf.
»Also, Scheluchin hat sich mit diesem Hergelaufenen angefreundet, oder was?«, wandte er sich wieder an den Dorfältesten. »Und wie hat man sich das konkret vorzustellen?«
Mit einem schweren Seufzer über den hoffnungslosen Sergej Sergejewitsch schickte sich Pelagia an, seine Frage in die Stroganowkaer Mundart zu übersetzen – sonst wäre es weitergegangen wie bei Hamlet und den Totengräbern: (»Sie wissen ja, mein Herr – in unserer, der Dänischen«). Und plötzlich, rein zufällig, schaute sie zu Dummka, die sich an der Tür herumdrückte. Jetzt, da die Erwachsenen sie nicht mehr beachteten, hatte sich ihr Gesichtsausdruck verändert: In ihren leeren Augen glühte ein Funken auf, der Anschein von Einfältigkeit war verschwunden. Sie lauschte dem Gespräch, und wie begierig!
»Gehst du wech!«, fuhr sie der Dorfälteste an.
Widerwillig ging sie hinaus.
Das Gespräch über den »Wilden« wurde fortgesetzt.
»Womit hat denn der Tatar den Petka so für sich eingenommen?«, fragte Pelagia.
»Petka, der fluutiche Löjjeneer, hat gesacht, der Wilde hätt ihm vom Heiligen Land erzählt und wie man richtich leben soll.«
»Wieso ›Lügner‹?«
»Wie soll denn ein Tatar vom Heiligen Land kakeln, wo er ja kein Wort nich in unsre Sprache vernünftich rauskricht.«
»Heißt das, er konnte überhaupt nicht sprechen?« »Mhmhm.«
Einer der Männer (nicht Donka, sondern der andere) sagte:
»Der und die Dummka, weißte noch? Sie brummt, und er grunzt, du lachst dich krupich. ›Die Dummka‹, sacht der Ochrim, ›hat sich ‚nen Bräutigam gefunden. Das gibt eine Familie – ein Dussel und ein Dummchen.‹«
Und er strich sich mit der Hand über den Bart, was in Stroganowka wohl das äußerste Maß an Leichtsinn bedeutete, denn der Dorfälteste wies den Spaßvogel zurecht:
»Grins nich so glösich. Hast du vergessen, was dann passiert is?«
»Und was ist dann passiert?«, fragte Dolinin sofort.
Die Stroganowkaer wechselten verstohlene Blicke.
»Wir haben den Tataren weggejagt«, sagte der Dorfälteste. »Feste forwalkuult und forrtobackt und baarchdaal inne Güllekule und dann büllen ferjachtert.«
»Was haben sie gemacht?«, Sergej Sergejewitsch sah die Nonne hilflos an.
»Sie haben ihn halb tot geschlagen, in eine Jauchegrube getaucht und aus dem Dorf gejagt«, erklärte sie.
»Weshalb denn?«, fragte Dolinin, das Gesicht ob der rauen örtlichen Sitten despektierlich verzogen.
»Man hätt ihm ’n Kopp einschlagen solln, dem Lodderbatz«, sagte der Dorfälteste böse. »Oder ihm sein Snippel, sein tatarischen, abreißen. Dummka, das arme Jössel, is ihm nachgelaufen wie ’ne Hündin, und er hat se wohl beschmuddein wollen. So ein Herodes. Zwei Tage hat die Dummka gelegen un kein Mucks gemacht.«
Sergej Sergejewitsch runzelte die Stirn.
»Und was war mit Scheluchin?«
»Der ist hinter seim Tataren her in den Wald gelaufen. Als wir diesen Hurensohn verdemst ham, is Petka auf die Männer los, er wollt nich, dass man seim ›großen Bruder‹ die Leviten lernt. Tchoch, hamwa eben dem Petka auch sein Nüssel verdütscht. Und als wir den Tataren in den Wald gejachtert ham, hat der Petka sein Bündel geschnürt und is hinterher. ›Er kommt um da im Wald!‹, schreit er. ›Er is ’n Gottesmann!‹ Und den Petka hamwa nich mehr wiedergesehen, bis heut nich.«
»Aber sag mal, Großvater, in welche Richtung ist der Tatar denn von hier weggegangen? Richtung Sonnenuntergang oder Sonnenaufgang, oder Richtung Norden, nein, wie heißt das, gen Mitternacht?«, fragte Dolinin.
Pelagia stand leise auf und ging zur Tür.
Dafür gab es zwei Gründe. Erstens schien sich Sergej Sergejewitsch inzwischen mit der örtlichen Idiomatik besser zurechtzufinden. Den zweiten Grund stellte die Tür selber dar, die sich sehr wunderlich gebärdete – mal ging sie einen Spaltbreit auf, mal wieder zu – dabei rührte sich nicht der leiseste Windhauch.
Pelagia schlüpfte in die schummerige Diele hinaus und sah sich aufmerksam um. In einer Ecke, hinter einer Truhe, bemerkte sie einen Schatten.
Sie ging hin und hockte sich
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