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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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verletzten Tier den Rücken zuzuwenden ist reiner Wahnsinn.
    Der Bischof verhielt einige Sekunden auf der Schwelle, schüttelte den Kopf und bekreuzigte sich.
    Da schoben und drängten sich alle zugleich in den Schuppen, stießen bestürzte Rufe aus und bekreuzigten sich ebenfalls. Pelagia stellte sich auf die Zehenspitzen und schaute dem Vater Wirtschafter über die Schulter.
    Ein Rechteck bläulichen Mondlichts fiel auf den Boden, und man sah Glasauge in einer Ecke sitzend, den Rücken an die Wand gelehnt. Seine Hände umklammerten den zerbrochenen Schaft der Heugabel. Er hatte sich die scharfen Spitzen mit sol-eher Kraft in die Kehle gestoßen, dass die Zinken den Hals durchbohrt hatten und hinter ihm in das Holz eingedrungen waren.
    In der Nacht, während der Bezirksstaatsanwalt und die Polizei ihre Pflicht taten (der Garten war von Laternen und Fackeln taghell erleuchtet), bekam Pelagia einen verspäteten hysterischen Anfall, von dem zum Glück außer dem Bischof niemand etwas mitbekam.
    »Was für eine schreckliche Untat habe ich begangen, nur um mein Leben zu retten!«, grämte sich die Schwester und rang die Hände. »Ich habe vollkommen vergessen, wer ich bin! Ich habe mich benommen wie eine ganz gewöhnliche Frau, die Angst um ihr Leben hat. Aber ich bin eine Nonne! Ich habe nicht nach dem Gesetz Christi gehandelt, das von uns verlangt, dem Bösen auch die andere Wange hinzuhalten, sondern nach dem Gesetz Moses! Auge um Auge! Ich werde nie wieder stricken können, nie im Leben!«
    Mitrofani, der im Hinblick auf die Eindämmung dieses ungestümen Drangs zur Selbstanklage eine gewisse gespielte Strenge für das zweckdienlichste Mittel hielt, fuhr seine geistliche Tochter in harschem Tone an:
    »Na und, was heißt das schon: Du bist eine Nonne! Es gibt solche und solche Nonnen. Genau wie es solche und solche Mönche gibt. Nimm zum Beispiel Osljabja und Pereswet, die haben sogar mit der Waffe in der Hand für ihre Heimat und für die Gerechtigkeit gekämpft!«
    »›Für die Heimat‹ und ›für die Gerechtigkeit – ist das etwa ein und dasselbe?«, entgegnete Pelagia in Tränen aufgelöst. »Jedes Volk hat seine eigene Heimat, aber die Gerechtigkeit ist für alle Menschen gleich. Ich kann an Ihrem Pereswet nichts Gutes finden. Für das Moskauer Fürstentum und für die Russen ist er natürlich ein Held, aber Christus hat sich doch nicht für das Moskauer Fürstentum und nicht wegen eines einzigen Volkes ans Kreuz schlagen lassen, sondern für alle Menschen. Und dieser Tatar Tschelibej, den Pereswet bezwang, hatte doch auch eine Seele. Ein Diener Gottes darf keine Waffe in die Hand nehmen, auch nicht, wenn jemand sein Leben bedroht. Ach Eminenz, es ist doch grausam für einen Menschen, der schon ein Auge verloren hat, sein anderes Auge auch noch einzubüßen! Bestimmt hat er furchtbare Albträume gehabt, dass er eines Tages ganz erblindet und so etwas . . . Und ich habe ihm nicht nur das Augenlicht geraubt, ich habe auch noch die Tür abgesperrt, damit er nicht wegläuft. Wie konnte ich nur so grausam sein! Wo hätte er denn schon hinlaufen können, blind, wie er war? Ich stelle mir vor, wie er nach dem Ausgang gesucht hat und immer gegen die Wände gelaufen ist, der Arme, weil er ihn nicht finden konnte . . . Wenn er ihn gefunden hätte, vielleicht hätte er ja seine unsterbliche Seele gerettet! Habe ich nicht Recht?«
    Mitrofani, der sah, wie sehr sie sich quälte, legte seine strenge Miene ab und ergriff ihre Hand.
    »Aber nein, nein, du hast Unrecht! Man muss sich dem Bösen widersetzen, ich bin absolut nicht einverstanden mit dem Grafen Tolstoi und seiner Deutung der Lehre Christi. Das Leben ist ein Kampf gegen das Böse. Wir dürfen nicht vor den Gaunern und Halunken dieser Welt kapitulieren. Du bist wie David, der Goliath besiegte, oder wie der heilige Georg, der den Feuer speienden Drachen tötete. Du bist sogar noch bewundernswerter, weil du eine schwache Frau bist, und deine Stricknadel ist eine viel kühnere Waffe als Davids Schleuder oder Georgs Lanze.«
    Aber Pelagia weinte nur umso heftiger.
    Alles klärt sich auf
    Das alles trug sich zu in der Nacht von Donnerstag auf Freitag, dem Tag des Johann Wetchopestschernik, und am darauf folgenden Mittwoch, das heißt noch vor Ablauf einer Woche, gab Matwej Benzionowitsch Berditschewski dem Bischof und Schwester Pelagia einen vollständigen und ausführlichen Bericht über die bis dahin durchgeführte Untersuchung.
    Die Identität des Straftäters hatte

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