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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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den Mönchen zu lassen, und wenn sie sich nicht daran hält, sind strenge Sanktionen vorgesehen. Offenbar ist dieser Jonas tatsächlich selbst schuld.«
    »Kleine Streiche?«, bemerkte Frau Lissizyna mit einem traurigen Lächeln, und sie erzählte dem Doktor von der »Kaiserin von Kanaan«.
    Korowin hörte zu und konnte sich nur noch an den Kopf fassen.
    »Das ist entsetzlich, einfach entsetzlich!«, sagte er mit gebrochener Stimme. »Welch ein ungeheurer Rückfall! Und die Verantwortung liegt wiederum ganz bei mir. Mein Experiment mit dem Abendessen zu dritt war ein kompletter Fehlschlag. Sie haben mir damals keine Gelegenheit gegeben, Ihnen zu erklären . . . Sehen Sie, Polina Andrejewna, es gibt verschiedene Modelle für die Beziehungen eines Psychiaters zu seinen Patientinnen. Eines davon, ein sehr effektives, besteht darin, die Verliebtheit einer Patientin auszunützen. Meine Macht über die Borejko, mein Mittel zur Einflussnahme auf sie besteht darin, ihren Ehrgeiz anzustacheln. Ich bin der einzige Mann, den all ihre Ränke und Reize als femme fatale völlig ungerührt lassen. Wenn ich nicht so unzugänglich wäre, wäre Lidia Jewgenjewna längst mit einem ihrer Verehrer durchgebrannt, doch solange es ihr nicht gelingt, mich zu erobern, wird sie nicht davonlaufen, das lässt ihr Ehrgeiz nicht zu. Von Zeit zu Zeit muss man Salz in diese Wunde streuen, was ich mit Ihrer Hilfe versucht habe zu tun. Der Effekt hat leider meine Erwartungen übertroffen. Anstatt nur ein wenig eifersüchtig zu werden, weil ich einer reizenden Besucherin Aufmerksamkeiten erweise, hat die Borejko in Ihrem Besuch ein Komplott vermutet, woraufhin sie in einen paranoid-hysterischen Zustand geraten ist. Letztendlich haben Sie dafür beinahe mit dem Leben bezahlt. Ach, das werde ich mir nie verzeihen!«
    Donat Sawwitsch war so bestürzt, dass die barmherzige Frau Lissizyna ihn auch noch trösten musste. Sie verstieg sich sogar zu der Behauptung, sie selbst sei an allem schuld, weil sie die arme Psychopathin mit Absicht gereizt habe (was zum Teil der Wahrheit entsprach). Und was die Fehler des Arztes betraf – wer sei denn dagegen gefeit, besonders bei einer so heiklen Angelegenheit wie der Heilung einer kranken Seele. Jedenfalls gelang es ihr mit Mühe und Not, den niedergeschlagenen Doktor zu beschwichtigen.
    In seinem Kabinett klingelte der Doktor nach dem Dienst habenden Arzt. Düster sagte er:
    »Lidia Jewgenjewna Borejko soll sofort zu mir kommen. Bereiten Sie eine Beruhigungsspritze vor, es ist gut möglich, dass sie einen Anfall bekommt. Die Oberschwester soll für Frau Lissizyna Schuhe und Kleidung heraussuchen, außerdem braucht sie unbedingt eine entspannende Massage und ein Lavendelbad.«
    Blau, grün, gelb, blassgelb
    Das Ergebnis all dieser nächtlichen und morgendlichen Aufregungen sah folgendermaßen aus: Polina Andrejewna war – wie der arme Tor – so schlau als wie zuvor.
    In der wichtigsten Angelegenheit, derentwegen sie nach Neu-Ararat gekommen war, hatte sie keinerlei Fortschritte gemacht. Am ärgerlichsten aber war, dass sie zweimal in dieser kurzen Zeit von ganzem Herzen zunächst an eine Möglichkeit geglaubt hatte, dann an eine andere, und es war noch unklar, welche von beiden absurder war. Nie zuvor war die scharfsinnige Schwester Pelagia so konfus gewesen. Natürlich war ein ruhiges Nachdenken unter den besonderen Umständen unmöglich gewesen, aber trotz allem war es ihr jetzt, mit klarem Kopf, peinlich.
    Die Resultate der Ermittlungen über den schwarzen Mönch waren kläglich.
    Da waren zunächst einmal die vorzeitig Verstorbenen: der Rechtsanwalt Kubowski, der einen solchen Schreck erlitten hatte, dass er einem Schlaganfall erlegen war, dann die Frau des Bakenwärters und ihr ungeborenes Kind, der ertrunkene Bakenwärter, der erschossene Lagrange und schließlich der arme Aljoscha Lentotschkin.
    Kubowski hatte man in einem Zinksarg auf dem Schiff fortgebracht, die unglückliche Mutter und ihr ungeborenes Kind in der Erde verscharrt, Felix Stanislawowitsch lag im Leichenschauhaus, von Eisklumpen bedeckt, die Leiche des Ertrunkenen war von dunklen Unterwasserströmungen abgetrieben worden . . .
    Aber war das Schicksal des umnachteten Matwej Benzionowitsch etwa erfreulicher?
    Im Gedenken an Aljoscha Lentotschkins Schicksal (den Korowins Pfleger auf der ganzen Insel vergeblich gesucht hatten) ging Frau Lissizyna in den nächsten Tagen häufig zu Berdi-tschewski, doch es gab keinen Trost, es ging ihm immer

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