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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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schlechter. Entweder erkannte er die Besucherin nicht, oder sie interessierte ihn überhaupt nicht. Sie saßen einander gegenüber und schwiegen. Dann ging Polina Andrejewna schweren Herzens nach Hause.
    Die schreckliche Nacht mit ihren verhängnisvollen Ereignissen hatte mit einer Farce geendet. Und natürlich mit einer strengen Bestrafung der Schuldigen.
    Der Hochehrwürdige degradierte Bruder Jonas vom Kapitän zum Heizer und setzte ihn zunächst einmal für einen Monat bei Wasser, Brot und Gebet in die Strafzelle.
    Doktor Korowin verfuhr mit seinen Schützlingen nicht minder streng.
    Lidia Jewgenjewna durfte (ebenfalls einen Monat lang) weder Puder noch Parfüm oder Lippenstift benutzen und auch nichts Schwarzes tragen.
    Der Schauspieler Terpsichorow wurde mit einem einzigen Buch – dem Roman »Arme Leute«, einem anderen, aber harmlosen Werk von Fjodor Dostojewski – unter Hausarrest gestellt, damit er die gefährliche Rolle des »Bürgers aus dem Kanton Uri« vergessen und sich in die Figur des sanftmütigen, stillen Makar Dewuschkin einfinden konnte. Als Polina Andrejewna den Arrestanten zwei Tage später besuchte, registrierte sie verblüfft die Veränderung, die mit ihm vorgegangen war. Der ehemalige Verführer lächelte sie sanft und freundlich an und nannte sie »mein Täubchen« oder »Mütterchen«. Offen gestanden war die Besucherin ob dieser Metamorphose verstimmt – in seiner früheren Rolle war Terpsichorow weit reizvoller gewesen.
    An weiteren erwähnenswerten Ereignissen ist zu vermerken, dass in einer liberal gesonnenen Moskauer Zeitung ein Aufsatz über die wundersamen Vorkommnisse in Neu-Ararat und den schlechten Ruf der Nachbarinsel erschien. Zweifellos hatte ein Pilger davon erzählt. Erstmals fanden die von den heiligen Mönchen hergestellten Rosenkränze im Klosterladen keinen Absatz mehr. Vater Witali ließ einen Ausverkauf veranstalten, wobei der Preis für einen Rosenkranz zunächst auf neun Rubel neunundneunzig und später sogar auf vier Rubel neunundneunzig gesenkt wurde. Erst dann konnten wieder Rosenkränze verkauft werden, aber längst nicht alle. Das war ein schlechtes Zeichen. In der Stadt wurde schon ganz offen darüber gesprochen, dass die Einsiedelei ungut, unrein geworden sei und man sie für eine gewisse Zeit schließen und den Zutritt zur Nachbarinsel für wenigstens ein Jahr verbieten müsse, um zu sehen, ob der heilige Wassilisk sich wieder beruhige.
    Allerdings schien der Schutzpatron sich ohnehin ausgetobt zu haben: Er wandelte nicht mehr über das Wasser und versetzte niemanden in der Stadt mehr in Angst und Schrecken. Möglicherweise war der Grund dafür, dass die Nächte jetzt immer ganz finster und mondlos waren.
    Was Frau Lissizyna anging, so war sie in dieser Zeit vorübergehender Ruhe beinahe immer tief in Gedanken versunken und größtenteils untätig. Morgens saß sie lange vor dem Spiegel, sie betrachtete ihr verletztes Gesicht und beobachtete, wie der blaue Fleck seine Farbe veränderte. Ein Tag verlief wie der andere und unterschied sich vom vorhergehenden anscheinend nur durch diese Farbveränderungen. Für sich selbst nannte sie die Tage nach ihrer Farbe.
    Der erste dieser stillen Tage, die auf die Nacht folgten, als Polina Andrejewna zunächst beinahe ertränkt und dann beinahe entehrt worden war, zählte nicht – man kann sagen, dass es ihn gar nicht gab. Nach dem Bad, der Massage und einer Beruhigungsspritze für die Nerven hatte die Dulderin beinahe vierundzwanzig Stunden geschlafen, um erst am Morgen darauf erquickt und gestärkt in das Hotel zurückzukehren.
    Sie betrachtete sich im Toilettenspiegel und sah, dass das Mal auf ihrem Gesicht nicht mehr rotblau, sondern einfach nur blau war. So nannte sie diesen ganzen Tag.
    Am Nachmittag des »blauen Tages« schlüpfte Polina Andrejewna im Pavillon in das Gewand des Klosterbruders (das zusammen mit den anderen Sachen seit dem vorgestrigen Abend wohlbehalten am Boden gelegen hatte), wobei sie sich hin und wieder unwillkürlich nach den düsteren Silhouetten der Automaten umblickte.
    Von dort aus machte sich der magere, kleingewachsene Mönch auf den Weg zur Landzunge, wo er auf den Fährmann wartete. Bruder Kleopa erschien pünktlich, genau um drei Uhr, und war höchst erfreut, als er Pelagi erblickte – nicht so sehr wegen des Klosterbruders selbst als vielmehr wegen des zu erwartenden Bakschischs. Er fragte geschäftig:
    »Nun, fährst du heute mit, oder wie? Meine Hand tut immer noch weh.« Dabei

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