Pelagia und der schwarze Moench
Folgendes: Einige Desjatinen besten Landes außerhalb der Stadt hat der Archimandrit einer privaten psychiatrischen Heilanstalt vermietet, wofür er entweder fünfhunderttausend oder siebenhunderttausend im Jahr bekommt. Diese betrübliche Institution wird von einem gewissen Donat Korowin geleitet, aus der Familie jener Korowins, denen die Hälfte der Bergwerke und der Fabriken im Ural gehört. Die Cousins des Doktors saugen also ihre Brüder in Christo bis aufs Blut aus, während Donat Sawwitsch verletzte Seelen heilt. Allerdings sagt man, dieser millionenschwere Äskulap nehme nur einige wenige Auserwählte, deren Krankheit ihm vom wissenschaftlichen Standpunkt aus interessant genug erscheint, in sein wunderbares Krankenhaus auf.
Ich habe seine Heilanstalt gesehen. Keine Wände, keine Schlösser an den Türen, nur Wiesen und Wäldchen, Puppenhäuschen, kleine Pagoden, Gartenlauben, Teiche und Bäche, Orangerien – ein paradiesischer Ort. Da möchte ich mich wohl auch ein, zwei Wochen lang kurieren lassen. Korowin arbeitet nach der allerfortschrittlichsten Methode, die für die Psychiatrie sogar revolutionär ist. Aus der Schweiz und selbst – man wagt es kaum auszusprechen – aus Wien kommen Leute, um bei ihm zu lernen. Nun, vielleicht auch nicht um zu lernen, sondern aus Neugierde, aber es ist trotzdem sehr schmeichelhaft.
Das Revolutionäre besteht darin, dass Korowin seine Patienten nicht unter Verschluss hält, wie es seit alters in zivilisierten Ländern üblich ist, und dass sie sich völlig frei bewegen können, wie und wo es ihnen beliebt. Das verleiht der Menschenmenge auf den Straßen von Neu-Ararat etwas besonders Pikantes. Da muss man sich erst mal zurechtfinden: Wer von denen, die einem da begegnen, ist ein ganz normaler Mensch, der auf die Insel gekommen ist, um zu beten, seine Seele zu reinigen und heiliges Wasser zu trinken, und wer ist ein Narr und Korowins Patient?
Manchmal freilich braucht man sich nicht lange den Kopf zu zerbrechen. Ich war zum Beispiel noch nicht einmal an Land gegangen, als sich mir eine überaus farbenprächtige Figur näherte. Stellen Sie sich vor: das Bärtchen zu einem Knoten gezwirbelt, den Schnurrbart völlig abrasiert, einen Schirm unter den Arm geklemmt (und ich erinnere daran, dass ein scheußlicher; kalter Regen niederging), eine Baskenmütze à la Doktor Faust auf dem Kopf und auf der langen Nase eine riesige Brille mit dicken violetten Gläsern.
Dieser Faust oder vielmehr Kapitän Fracasse fixierte mich mit einem überaus unverfrorenen Blick, drehte irgendwelche metallenen Hebel am Gestell seines Okulars und murmelte in höchst besorgtem Tonfall: »Ei-ei-ei. Brustkorb – kalte Grau-Grün-Skala, Stirn – heiß, hochrot. Sehr, sehr gefährlich. Nehmen Sie sich in Acht vor Ihrem Verstand.« Dann wandte er sich an den Herrn, mit dem ich die Kabine geteilt hatte, einen fülligen Rechtsanwalt aus Moskau, um auch dem eine Frechheit an den Kopf zu werfen: »Sie haben eine braune Emanation, ausgehend von der linken Gehirnhälfte. Trinken Sie keinen Wein, und essen Sie nichts Fettes, andernfalls werden Sie Herrn Kondrati kennen lernen.« Der Advokat ist nicht zum ersten Mal in Ararat, er will sich an den frisch geräucherten Renken und dem Moosbeerensaft des Klosters gütlich tun, das heilige Magenwässerchen trinken und die frische Luft atmen. Das Hotel »Arche Noah« ist seine Empfehlung. Auf die seltsame Wahrsagung des violetten Fracasse reagierte mein Cicerone mit völligem Gleichmut, und er erklärte mir, wie es sich mit der psychiatrischen Heilanstalt verhielt, um dann hinzuzufügen: »Sie brauchen nicht zu erschrecken, Monsieur Lentotschkin, Gewalttäter gibt es bei Donat Sawwitsch nicht.«
Am selben Tag kam ich beim Mittagessen in der Speisewirtschaft »Alles vom Grill« mit einem interessanten Subjekt ins Gespräch, das ebenfalls etwas mit Korowins Heilanstalt zu tun hat. Sie kennen meine Theorie, dass es verlorene Zeit ist, den Organismus mit Kalorien zu stärken, ohne unterdessen Augen und Gehirn zu beschäftigen, weshalb ich einen gebratenen Zander verzehrte und dabei kein Auge von Ihrem Roman ließ. Plötzlich trat ein Mann von vornehmstem Äußeren an meinen Tisch und sagte: »Verzeihen Sie, mein Herr, dass ich Sie bei dem doppelten Vergnügen, leibliche wie geistige Nahrung aufzunehmen, unterbreche, doch ich habe auf dem Buchrücken den Namen des Autors gesehen. Sie lesen doch ein Werk von Herrn Dostojewski?« Die unverblümte Anrede wurde durch ein
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