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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Ihr mich geschickt, Rebbe.
    Der zentrale Platz, an dem das Hotel gelegen ist, sieht aus, als sei man in einer Stadt wie Baden-Baden: zwei – und sogar dreistöckige Häuser aus Stein, in leuchtenden Farben gestrichen, ein ordentliches Publikum spaziert umher, am Abend ist es beinahe so hell wie am Tag. Allenthalben gibt es überaus weltliche, ich würde sogar sagen, eitle Einrichtungen mit unglaublichen Namen: die Restauration »Balthasars Gastmahl«, wo man Fleisch essen kann, den Coiffeursalon »Dalila«, das Souvernirlädchen »Gaben des Wolchow«, das Bankkontor »Spende der Witwe« und dergleichen mehr. Geht man nur wenige Minuten weiter, kommt es einem vor, als sei man kurz nach Gründung unserer schwindsüchtigen Hauptstadt, etwa im Jahre 1704, ans Ufer der Newa geraten: Arbeiter laufen mit Schubkarren umher, schlagen Pfosten in den sumpfigen Boden, sägen Balken und heben Gruben aus. Es sind sämtlich bärtige Männer in schwarzen Kutten, aber mit hoch gekrempelten Ärmeln und Schürzen aus Wachstuch, die Verkörperung des revolutionären Traums – den parasitären Klerikerstand zu gesellschaftlich nützlicher Arbeit zu zwingen.
    Mehrmals am Tag trifft man an den unerwartetsten Orten auf den Gebieter dieses ganzen Ameisenhaufens, die Oberameise Witali den Zweiten (sic!), der tatsächlich Ähnlichkeit mit Peter dem Großen hat: Er ist hoch aufgeschossen, gebieterisch und ungestüm und macht so weit ausholende Schritte, dass die Kutte sich wie ein Ballon aufbläht und seine Suite kaum mithalten kann. Das ist kein Pope, sondern eine Kanonenkugel. Man müsste Euch, Mönch Pereswet, direkt mit ihm konfrontieren und sehen, wer wen bezwingt. Ich würde wahrscheinlich trotz allem auf Euch setzen – der Archimandrit schießt vielleicht schneller als Sie, aber Sie haben das größere Kaliber!
    Hier auf den Inseln hat man sich anscheinend die für Russland sehr ungewöhnliche Kunst angeeignet, aus allem – und sogar aus nichts – Geld zu machen. Bei uns ist es normalerweise doch umgekehrt: Je mehr Golderz oder Diamanten uns vor den Füßen liegen, desto verheerender sind die Verluste, aber hier – kaum hatte Witali beschlossen, die unbrauchbare steinige Erde auf dem Prawednitscheski-Vorgebirge nutzbar zu machen, entdeckte man, dass es sich nicht um gewöhnliche, sondern um heilige Steine handelt, weil sie mit dem Blut der heiligen Märtyrer benetzt sind, denen die berittenen Landsknechte des schwedischen Grafen Delagardi dort vor dreihundert Jahren den Garaus machten. Die Steine haben tatsächlich eine rotbraune Farbe, doch ich nehme an nicht vom Blut, sondern weil sie mit Mangan durchsetzt sind. Das ist aber auch völlig unwichtig, wichtig ist, dass die Pilger heute selbst Stücke von den runden Feldsteinen abhauen und mit nach Hause nehmen. Dort steht ein Mönch mit einer Spitzhacke und einer Waage. Wenn man die Spitzhacke benutzen will, muss man fünfzehn Kopeken bezahlen. Wenn man einen heiligen Stein mitnehmen will, muss man ihn wiegen und bezahlen – neunundneunzig Kopeken das Pfund. So lässt Witali die untaugliche Parzelle allmählich räumen, und die Klosterkasse hat ihren Vorteil davon. Ist das nicht schlau ausgedacht?
    Oder das Wasser. Eine ganze Schar von Mönchen füllt das hiesige Brunnenwasser in Flaschen ab, setzt Verschlüsse auf die Flaschen und beklebt sie mit einem Etikett: »Erzbischöfliches Nass aus Neu-Ararat, gesegnet von Seiner Hochehrwürden Vater Witali«, und dieses H2O wird dann en gros aufs Festland geschickt – nach Petersburg und besonders ins fromme Moskau. In Ararat aber sind zur Bequemlichkeit der Pilger wahre Wunderwerke aufgestellt, »Automaten mit heiligem Wasser«: In einem hölzernen Pavillon stehen komplizierte Apparaturen, die sich die hiesigen Kulibins ausgedacht haben. Steckt man ein Fünfkopekenstück in einen Schlitz, fällt dieses auf ein Ventil, woraufhin sich eine Klappe öffnet und heiliges Wasser in ein Krüglein fließt. Man kann es auch teurer haben: für zehn Kopeken wird dem Wasser noch Himbeersirup beigemengt, ein ganz besonderer; »dreifach gesegneter«. Es heißt, im Sommer stehen die Leute Schlange vor den Automaten, aber ich hatte kein Glück – zum Herbst wird der Pavillon geschlossen, damit die ausgeklügelte Technik durch den Nachtfrost keinen Schaden nimmt. Aber das macht nichts, früher oder später wird Witali eine Dampfmaschine zum Beheizen auf stellen lassen, dann werden die Automaten ihm auch im Winter Früchte einbringen.
    Und dann noch

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