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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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sich galant vor der Gefährtin seines romantischen Abenteuers, aber diese war offenbar bereits so sehr auf Erleuchtung und Reinigung der Seele eingestellt, dass sie ihm nicht einmal den Kopf zuwandte, sondern einfach an ihm vorbeischritt.
    Ach, die Frauen, lächelte Felix Stanislawowitsch, der genau wusste, wie segensreich die weibliche Psyche eingerichtet war, und das sehr schätzte.
    »Gut, Vater, wir sehen uns, wenn ich zurückfahre. Ich nehme an, das wird in ein oder zwei Tagen sein, wohl kaum später. Was meinen Sie, wird sich das Wetter bis dahin beruhi . . .«Er drehte sich wieder zum Kapitän um, sprach aber nicht weiter, weil Bruder Jonas irgendwohin zur Seite blickte und sein Gesicht verblüffend verwandelt war: Es war gleichzeitig entzückt und bestürzt, als höre der wackere Kapitän den unheilvollen Gesang der Sirenen oder als erblicke er eine über das Wasser wandelnde Jungfrau, was Seefahrern Erfolg verheißt und sie allen Kummer vergessen lässt.
    Lagrange folgte der Blickrichtung des seltsam verstummten Kapitäns und entdeckte in der Tat eine geschmeidige, mädchenhafte Silhouette, die aber nicht über schaumbedeckte Wellenkämme glitt, sondern reglos unter einer Laterne am Anleger stand. Die junge Dame winkte Jonas gebieterisch mit dem Finger heran, und mit somnambulen Gang schritt dieser zum Fallreep, ohne sich noch einmal nach seinem künftigen Obermaat umzusehen.
    Felix Stanislawowitsch, seinem Charakter und seinem Amt nach ein neugieriger Mensch und zudem als feurige Natur nicht unempfindlich gegenüber weiblicher Schönheit, packte seine gelbe Reisetasche aus patentiertem Schweinsleder, um sich dem Kapitän verstohlen an die Fersen zu heften, oder vielmehr, wie es die Seeleute ausdrücken, in seinem Kielwasser zu segeln. Instinkt und Erfahrung sagten dem Oberst, dass die junge Dame mit der wunderbaren Figur und der selbstbewussten Haltung bestimmt ein schönes Gesicht hatte. Er musste sich einfach Gewissheit verschaffen!
    »Guten Tag, Lidia Jewgenjewna«, brummte Jonas schüchtern, während er auf die Unbekannte zuging.
    Diese streckte ihm herrisch ihre in einen langen, grauen Handschuh gehüllte Hand hin – doch wie sich herausstellte nicht zum Kuss, und auch nicht, um ihm die Hand zu schütteln.
    »Haben Sie es mitgebracht?«
    Der Kapitan zog etwas ganz Kleines aus seiner Mönchskutte hervor und legte es in die schmale Hand, doch was genau es war, konnte der Oberst nicht sehen, weil die junge Dame ihm in diesem Moment den Kopf zuwandte und mit einer raschen Bewegung ihren Schleier ein wenig lüftete – offensichtlich, um den Unbekannten besser betrachten zu können. Dafür reichten ihr zwei, höchstens drei Sekunden, aber dieser flüchtige Augenblick war für Lagrange genug, um zu erstarren.
    Oho!
    Der Polizeimeister griff sich mit der Hand an seinen engen Kragen. Diese großen, unergründlichen, seltsam flimmernden Augen! Diese ausgeprägten Wangenknochen! Die geschwungenen Wimpern! Der traurige Schatten auf den wehrlosen Lippen! Zum Teufel auch!
    Mit der Schulter stieß Lagrange Bruder Jonas, der wie ein Auerochse dastand, beiseite und lüpfte seine Schirmmütze.
    »Gnädige Frau, ich bin zum ersten Mal hier, ich kenne niemanden und weiß nichts von der Stadt. Ich möchte mich vor den Heiligtümern verneigen. Helfen Sie einem Mann, der viel und schwer gelitten hat. Raten Sie dem reuigsten aller Sünder, wohin er seine Schritte zuerst lenken soll. Zum Kloster? Zur Wassilisk-Einsiedelei? Oder vielleicht in eine Kirche? Im Übrigen, gestatten Sie, dass ich mich vorstelle: Felix Stanislawowitsch Lagrange, Oberst, vormals Kavallerist.«
    Das Gesicht der Schönen war bereits wieder von dem federleichten Schleier verhüllt, doch unter dessen Rand war zu sehen, wie sich der reizende Mund zu einer geringschätzigen Grimasse verzog.
    Die junge Dame, die der Kapitän mit Lidia Jewgenjewna angesprochen hatte, schenkte der raffinierten, psychologisch untadeligen Approche des Polizeimeisters keinerlei Beachtung, verbarg das kleine Etwas in ihrem Ridikül, wandte sich gräziös um und ging von dannen.
    Bruder Jonas stieß einen tiefen Seufzer aus, und Lagrange fing an zu blinzeln. Das war unerhört! Zuerst hatte ihn die Petersburger Ziege nicht einmal einer Verabschiedung gewürdigt, und jetzt auch noch diese Erniedrigung!
    Beunruhigt zog der Oberst einen praktischen kleinen Spiegel aus der Westentasche, um zu prüfen, ob vielleicht mit seinem Gesicht etwas nicht in Ordnung sei – ein plötzliches

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