Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
und bei dem lediglich das letzte Wort frei gewählt werden konnte, in welchem dann gewöhnlich der Hauptsinn des Gesagten enthalten war. Es heißt, in alten Zeiten sei dem Abt nicht einmal das erlaubt gewesen, doch nachdem das Kloster in Kanaan entstanden war, vergeudeten die Eremiten keine Zeit mehr damit, sich ihre kärgliche Nahrung zu suchen – Beeren, Wurzeln und Würmer (weiter gab es nichts Essbares auf der Nachbarinsel) – , sondern sie erhielten alles Notwendige aus dem Kloster. Nun verbrachten die heiligen Einsiedler ihre Zeit damit, Rosenkränze aus Zedernholz zu schnitzen, für die die Pilger dem Kloster viel Geld zahlten – bis zu dreißig Rubel pro Stück.
    Einmal am Tag fuhr ein Boot zur Nachbarinsel, das die Rosenkränze abholte und das Nötige brachte. Das Oberhaupt der Einsiedelei kam dann zum Boot hinunter und sprach ein kurzes Bibelzitat, das eine Bitte enthielt, gewöhnlich praktischer Natur: Bestimmte Vorräte waren zu beschaffen, Heilmittel oder Schuhe oder eine warme Decke sollten gebracht werden. Der Mönch sprach etwa: »Da trug er ihm auf, und er brachte ihm auch – eine Decke« oder »So trage mir auf das Wasser – Birne«. Hier stammte der Anfang der Rede aus dem ersten Buch Mose, als Isaak sich an seinen Sohn Esau wendet, und das letzte Wort bezeichnete den Bedarf des täglichen Lebens. Der Fährmann prägte sich das Gesagte ein, überbrachte es Wort für Wort dem Vater Wirtschafter oder dem Vater Kellermeister, und diese erfassten den Sinn – gelegentlich auch ohne Erfolg. Nehmen wir doch »das Wasser – Birne«. Man erzählt sich, eines Tages habe der Abt düster gesprochen: »Und alle seine Eingeweide drangen heraus« und dabei den Stab eines der Mönche vorgezeigt. Die Klosteroberen blätterten lange in der Heiligen Schrift, entdeckten diese merkwürdigen Worte in der Apostelgeschichte, wo der Selbstmord des schmählichen Judas beschrieben wird, und erschraken fürchterlich in der Annahme, ein Eremit habe die schlimmste aller Todsünden begangen. Drei Tage lang läutete man die Glocken, man fastete strengstens und hielt kurze Gottesdienste ab, um den Frevel zu sühnen, doch später stellte sich heraus, dass der Mönch lediglich an Diarrhö erkrankt war und der Abt darum gebeten hatte, Birnensud zu schicken.
    Sagte der Älteste der Einsiedelei zum Fährmann »Jetzt lässest du deinen Knecht in Frieden dahingehen«, so bedeutete das, dass Gott einen der Eremiten zu sich genommen hatte, und sogleich trat ein neuer Auserwählter aus der Reihe der Anwärter an dessen Stelle. Manchmal sprach nicht der Abt, sondern einer der beiden anderen, die das Schweigegelübde abgelegt hatten, die verhängnisvollen Worte. Auf diese Weise erfuhr man im Kloster, dass der Abt in das himmlische Reich abberufen worden war und die Einsiedelei von dem Tag an ein neues Oberhaupt hatte.
    Einmal, vor vielleicht hundert Jahren, wurde einer der Eremiten von einem Bären angefallen, der von fernen Gestaden herbeigeschwommen war und sich anschickte, den Unglücklichen in Stücke zu reißen. Jener fing unversehens an, »Brüder, Brüder!« zu schreien. Die beiden anderen kamen herbeigelaufen und verscheuchten den Bären mit ihren Stöcken, wünschten aber danach nicht mehr, mit dem Bruder, der das Schweigegelübde gebrochen hatte, zusammenzuleben, und schickten ihn ins Kloster zurück, wo der Vertriebene gramgebeugt alsbald verstarb, ohne noch einmal den Mund geöffnet zu haben; ob er jedoch zu Gottes hellen Augen vorgelassen wurde oder bei den sündigen Seelen ausharren muss, ist nicht bekannt.
    Was gibt es sonst über die Einsiedler zu sagen? Sie trugen ein schwarzes Gewand, eine Art Sack aus grobem Stoff, von einem Strick zusammengehalten. Die schmale Kapuze war tief ins Gesicht gezogen und an den Rändern zusammengenäht, um die völlige Abgeschlossenheit von der eitlen Geschäftigkeit der Welt zu unterstreichen. Für die Augen waren in der spitz zulaufenden Kapuze zwei Sehschlitze angebracht. Wenn die Pilger, die am Ufer von Kanaan beteten, einen der heiligen Mönche erblickten (was sehr selten geschah und als besonderes Glück galt), dann bot sich ihrem Blick ein schwarzer Sack dar, der sich langsam über die bemoosten Kieselsteine vorwärts bewegte – als sei es kein Mensch, sondern ein körperloser Schatten.
    Aber nun, da wir über Neu-Ararat, die Einsiedelei und den heiligen Wassilisk erzählt haben, ist es an der Zeit, ins Gerichtsarchiv zurückzukehren, wo Bischof Mitrofani bereits mit der

Weitere Kostenlose Bücher