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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Haarsträhne, die sich gelöst hatte, unter ihre Haube und sagte vorwurfsvoll:
    »Eminenz, Sie selbst sprechen immerzu davon, dass voreilige Schlussfolgerungen nur Schaden bringen. Wir sollten den heiligen Mönch anhören, ohne ihn zu unterbrechen.«
    Antipa erschrak noch heftiger und war überzeugt, der Bischof werde nach einer derart naseweisen Bemerkung noch mehr in Rage geraten, doch Mitrofani zürnte der Schwester nicht, und das wütende Funkeln in seinen Augen erstarb. Er gab dem Mönch einen Wink:
    »Sprich weiter. Aber gib nur Acht, dass du nicht lügst.«
    Die Erzählung wurde fortgeführt, wenn auch etwas überladen durch die Rechtfertigungen, in denen der verängstigte Antipa meinte sich ergehen zu müssen.
    »Ich habe aus folgendem Grund die Anweisung des Archimandriten nicht befolgt: Meine Aufgabe im Kloster ist, Kräuter zu sammeln und die Brüder zu heilen, zu einem weltlichen Arzt zu gehen, gilt als Frevel. Und bei uns, bei den Kräutersammlern im Kloster, ist es so – jedes Kraut muss unbedingt am Tage seines Schutzheiligen gepflückt werden. Die Landzunge, die der Einsiedelei gegenüberliegt, ist der Ort auf ganz Kanaan, an dem die meisten Kräuter wachsen. Unter dem Schutz des Großmärtyrers Bonifatius wächst dort Sumpf-Schlangenwurz gegen Rauschzustände durch Weingenuss, Flohknöterich gegen Verirrungen der Leidenschaft wächst unter dem Schutz der heiligen Fomaida, die rote Johannisbeere, die vor bösem Zauber bewahrt, wächst dort unter dem Schutz des heiligen Märtyrers Kiprian, und viele andere Heilpflanzen mehr. Wegen des Verbots hatte ich weder Bitterling noch Drachenwurz gesammelt, die man während des Nachttaus pflücken muss. Aber zum Tag des Großmärtyrers Jewfimi, der vor Schüttelfieber schützt, blüht die späte Stachelgurke, und diese Stachelgurke kann man nur in einer einzigen Nacht im ganzen Jahr pflücken. Hätte ich diese Möglichkeit etwa verstreichen lassen sollen? Also war ich ungehorsam.
    Als alle Brüder schlafen gegangen waren, schlich ich still und heimlich in den Hof hinaus, ich ließ den Zaun hinter mir und ging über das Feld bis zur Abdankungskapelle, in der die Eremiten eingeschlossen werden, bevor sie in die Einsiedelei eintreten, und von dort ist es nicht mehr weit zur Landzunge. Zu Anfang war mir bang, ich bekreuzigte mich immerzu und blickte mich nach allen Seiten um, aber dann war es nicht mehr schlimm, und ich schöpfte Mut. Es ist schwierig, die späte Stachelgurke zu suchen, dazu sind Erfahrung und große Sorgfalt vonnöten. Es war natürlich finster, aber ich hatte eine Lampe mitgebracht, eine Öllampe. Ich hatte sie auf der einen Seite mit einem Lappen verhängt, damit man sie nicht sehen konnte. Ich kroch auf allen vieren umher, pflückte die Blüten ab und dachte gar nicht mehr an den Archimandriten oder den heiligen Wassilisk. Ich kroch geradewegs bis zum Rand der Landzunge hinunter, wo nur noch Wasser zu sehen war, aus dem hie und da Felsen emporragten. Als ich gerade umkehren wollte, hörte ich plötzlich aus der Dunkelheit. . .«
    Bei der schrecklichen Erinnerung erbleichte der Mönch, er atmete hastig, begann mit den Zähnen zu klappern, und Pelagia goss ihm aus dem Samowar heißes Wasser nach.
    »Vielen Dank, Schwester . . . Plötzlich drang eine Stimme aus der Dunkelheit herüber, leise, aber vernehmlich, und jedes Wort war deutlich zu hören: › Geh hin. Sage es allen.‹ Ich wandte mich zum See und erschrak dermaßen, dass ich die Lampe und den Kräuterkorb fallen ließ. Über dem Wasser schwebte eine verschwommene, schmale Gestalt, als stünde jemand auf einem Felsen. Aber es gab dort keinen Felsen. Plötzlich . . . plötzlich dann ein überirdisches Strahlen, hell, weit heller als das Licht der Gaslampen, die heutzutage bei uns in Neu-Ararat die Straßen beleuchten. Und da stand er auch schon in aller Deutlichkeit vor mir. Schwarz, in einer Kutte, hinter seinem Rücken strömte Licht hervor, direkt über dem Abgrund, eine kleine Welle plätscherte zu seinen Füßen. › Geh hin‹, sprach er. › Sage es, sie soll veröden.‹ Sprache und zeigte mit dem Finger auf die Nachbarinsel. Dann kam er direkt über das Wasser auf mich zu, er machte einen Schritt, einen zweiten, einen dritten. Ich schrie auf, schlug die Hände über dem Kopf zusammen, drehte mich um und stürzte davon, so schnell ich konnte . . .«
    Der Mönch schluchzte auf und wischte sich die Nase mit dem Ärmel ab. Pelagia strich dem Leidenden seufzend über den Kopf, und

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