Pelagia und der schwarze Moench
interessant!«, rief Polina Andrejewna aus, keineswegs eingeschüchtert durch den unfreundlichen Tonfall. »Deshalb hat man Sie wohl auch Jonas genannt? Wegen der Wale, ja?«
Der Kapitän vollbrachte eine echte Heldentat christlicher Demut und verzog den Mund ein wenig, was offenkundig ein besonders liebenswürdiges Lächeln bedeuten sollte.
»Nicht wegen der Wale – wegen eines Wals. Ein Bartenwal hat unser Boot mit seiner Fluke in Stücke geschlagen. Alle anderen sind ertrunken, ich allein bin wieder aufgetaucht. Der Wal hat mich zwischen seine Barten eingesogen, aber offenbar habe ich ihm nicht geschmeckt – er hat mich wieder ausgespuckt. Danach hat mich ein Schoner aufgelesen. Ich war vielleicht eine halbe Minute im Rachen des Bartenwals, doch das hat gereicht, um einen Schwur zu tun: Sollte ich überleben, wollte ich Mönch werden.«
»Was für eine erstaunliche Geschichte!« Die Passagierin war begeistert. »Und das Verblüffendste daran ist, dass Sie nach Ihrer Rettung tatsächlich Mönch geworden sind. Wissen Sie, wie viele Menschen in der Minute der Verzweiflung Gott ein Gelöbnis ablegen, aber nur die wenigsten halten es hinterher ein.«
Jonas hörte auf, ein Lächeln vorzutäuschen, und zog seine buschigen Augenbrauen in die Höhe.
»Ein Wort ist ein Wort.«
In diesem Ausspruch lagen zu gleichen Teilen so viel Unbeugsamkeit und Schmerz, dass es der Lissizyna um den armen Walfänger entsetzlich Leid tat.
»Ach, Sie hätten auf keinen Fall Mönch werden dürfen«, sagte sie bestürzt. »Der Herr hätte Sie verstanden und Ihnen vergeben. Das Mönchtum sollte eine Belohnung sein, für Sie aber ist es eine Strafe. Sie sehnen sich gewiss nach Ihrem früheren Leben? Ich kenne die Seeleute. Ohne Wein, ohne Fluchen könnt ihr nur schwer sein. Und dann das Keuschheitsgelübde . . .« schloss die barmherzige Pilgerin halblaut, wie für sich, in bedauerndem Tonfall.
Der Kapitän hatte es dennoch gehört und warf der taktlosen Person einen Blick zu, unter dem Polina Andrejewna erschrak und alsbald den Rückzug von der Brücke auf das Deck antrat, um sich von da aus wieder in ihre Kabine zu begeben.
Das Männerparadies
Der grimmige Blick des Kapitäns wurde zu einem gewissen Grad verständlich, als der »Heilige Wassilisk« morgens am Anleger von Neu-Ararat festmachte. In Erwartung eines Trägers hatte Polina Andrejewna sich noch ein wenig an Bord aufgehalten und war nun beinahe die Letzte, die das Schiff verließ. Eine schlanke junge Dame in Schwarz, die an der Anlegestelle ungeduldig auf jemanden wartete, erregte ihre Aufmerksamkeit. Nachdem sie die Dame geflissentlich gemustert und einige Be-
Sonderheiten ihrer Kleidung registriert hatte (die zwar sehr ausgesucht, aber ein wenig démodé war – den Modejournalen nach zu urteilen wurden derart breite Hüte und hohe Überschuhe mit Silberknöpfen in dieser Saison nicht mehr getragen), schloss die Lissizyna, dass es sich bei der Dame um eine Einwohnerin von Neu-Ararat handeln musste. Sie war schön, was aber durch ihre Blässe und ihren allzu unsteten, feindseligen Blick beeinträchtigt wurde. Die Einheimische musterte die Moskauer Adlige gleichfalls forschend, und ihre Augen blieben an dem Umhang und den roten Locken hängen, die unter dem Hütchen Modell »Schelmischer Page« hervorquollen.. Das schöne Gesicht der Unbekannten verzerrte sich böse, und sie wandte sich ab, als sie jemanden an Deck erspähte.
Die neugierige Polina Andrejewna trat ein Stück beiseite, drehte sich um, setzte ihre Brille auf und wurde für diese Umsichtigkeit durch den Anblick einer interessanten Szene belohnt.
Bruder Jonas trat ans Fallreep und blieb beim Anblick der schwarzen Dame wie angewurzelt stehen. Doch kaum hatte sie ihn mit einer knappen, gebieterischen Geste herbeigewinkt, als der Kapitän auch schon beinahe im Laufschritt zur Anlegestelle hinunterstürmte. Polina Andrejewna musste wieder an das mönchische Keuschheitsgelübde denken, und sie schüttelte den Kopf. Sie konnte ein weiteres aufschlussreiches Detail bemerken: Als Jonas bei der Dame ankam, wandte er ihr nur ganz leicht den Kopf zu (das breite, derbe Gesicht des Kapitäns war noch röter als gewöhnlich) und berührte, ohne stehen zu bleiben, nur flüchtig ihre Hand. Die brillenbewehrten Augen der Frau Lissizyna bemerkten jedoch, dass etwas Kleines, Papierenes, Quadratisches – entweder ein Umschlag oder eine zusammengefaltete Notiz – aus der Pranke des ehemaligen Walfängers in die schmale, in
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