Pelbar 2 Die Enden des Kreises
stehenblieb, um in die Unterseiten große Furchen zu schneiden. Er lief die ganze Nacht und weit in den Morgen hinein weiter, bis er erschöpft war und sich eine Schneewehe suchte, in der er rasten konnte. Aber er hatte beinahe dreißig Ayas zurückgelegt und fühlte sich allmählich beruhigt.
Ahroe hatte inzwischen den Bach gefunden, und trabte das Ufer hinauf, bis sie den Schnee mit Stels Spuren sah. Da hatte er geschlafen. Das mußte letzte Nacht gewesen sein. Sie schauderte zusammen, weil sie so erschöpft war, und weil sie erkannte, daß er einen so großen Vorsprung hatte. Und sie hatte keine Schneegleiter. Der Schnee lag kaum mehr als eine Spanne hoch, aber trotzdem kam er schneller voran.
Gegen ihren Willen mußte sie lächeln, als sie sah, wo er gestürzt war und ein grobes Gesicht mit abwärts verzogenem Mund in den Schnee gezeichnet hatte.
Stel blieb eben Stel. Er hatte den Verdacht, daß man ihm folgen würde, wenigstens zu Anfang. Das Gesicht war sicher für Ahroe gedacht. Eine Welle komplexer Gefühle überspülte sie. Wie konnte er sie lieben und vor ihnen allen weglaufen? Sie zertrat das Gesicht und stürzte sich vorwärts in den Schnee. Die Luft war feucht geworden. Wenn es nun schneite? Sie würde ihm den ganzen Tag folgen müssen, ohne ste-henzubleiben. Sie mußte ihn einholen, ehe der Shumai wiederkam.
Sie ging weiter, während der Tag verrann, trieb sich immer mehr zur Eile an, besonders als die Luft matt und still wurde und im dritten Quadranten langsam die Schneeflocken herunterzuschweben begannen und allmählich dichter wurden, während sie den Zwillingslinien von Gleitspuren durch kleine Wälder, Farne und Prärieflächen folgte. Sie blieb nicht einmal zum Essen stehen, sondern kaute im Gehen Wegbrot und getrocknetes Fleisch, genau wie Stel es tat.
Die Abenddämmerung kam. Sie konnte die Spur kaum noch erkennen. Als sie stehenblieb, spürte sie, wie sich eine Stille niedersenkte, die schlimmer war als die in den Höhlen unter der Stadt. Eine sonderbare Ruhe umfing sie. Es war etwas wärmer geworden.
Erschöpft bis auf die Knochen beschloß sie, in einem Baum zu schlafen und dabei einen der Reisetricks der Pelbar aus der Zeit vor dem Frieden anzuwenden. Sie wählte sich genau den richtigen Baum, einen Ahorn von mittlerer Größe mit vielen kräftigen Ästen, kletterte vorsichtig hinauf und stieß dabei in jeden Ast am Ansatz ihr Kurzschwert hinein, bis sie ungefähr zwanzig Spannen weit oben war. Dann schnitt sie sorgfältig vier nebeneinanderliegende Äste oben und unten ein, so daß sie noch verbunden, aber fast durchtrennt waren. Sie kletterte noch weiter hinauf, fand eine Astgabel und band sich in ihrem Schlafsack fest. Es war nicht bequem, aber in ihrer gegenwärtigen Erschöpfung fiel ihr das nicht auf, und sie schlief schließlich ein.
Plötzlich, es war fast Mitternacht, war Assek da.
Die Spuren, die jetzt im herabfallenden Schnee und im mattblauen Licht nichts als Kerben waren, hörten am Baum auf. Er lächelte vor sich hin, nahm sein zweites Messer, eines zum Abbalgen, heraus und begann langsam hinaufzuklettern. Ja, da über ihm war deutlich Ahroes Gestalt. Er würde die Stricke durch-schneiden und sie herunterstoßen, ehe sie aufwachen konnte. Wenn sie dann verletzt auf dem Boden lag, konnte er mit ihr machen, was er wollte. Einen Augenblick lang zögerte er. Das war Wahnsinn. Es war zu weit gegangen. Aber sie hatte ihn verletzt, und wenigstens diese Rechnung mußte er begleichen. Er würde schon sehen. Vielleicht reichte das. Aber Ahroe hatte ein wunderschönes Gesicht mit gerader Nase und schmalen, zarten Nasenlöchern. Ihr Mund war klein und wohlgeformt. Ihre dunkelbraunen Augen waren tief und durchdringend. Es war ein Gesicht zum Lieben, sicher nicht dafür gedacht, in einem Baum im Schnee zu schlafen.
Assek beschäftigte sich mit seinen Träumen, während er leise hinaufkletterte, aber als er dann langsam sein Gewicht verlagerte, knackte der Ast unter ihm.
Er griff wild um sich, nur um einen zweiten abzurei-
ßen und vier weitere abzubrechen und hinunterzu-stürzen, schließlich krachte er in einen letzten, größeren, und taumelte in den Schnee.
Er bewegte sich nicht sofort. Schnee rieselte auf sein Gesicht, das ihn schmerzte, weil er es am Baumstamm aufgeschürft hatte. Er rollte sich auf die Knie, als er Ahroe weich in den Schnee springen hörte. Wut und Schmerz schüttelten ihn. Er kämpfte sich auf die Füße und stellte sich vor sie hin.
»Bist du schon
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