Pelbar 4 Der Fall der Muschel
Der Junge zeigte keine Angst und keine Dankbarkeit. »Dann sage ich dir das nicht deinetwegen, sondern zum Wohle der Stadt. In zwei Tagen steht dir weitere Bestrafung bevor. Wenn du dich zutiefst reuig zeigst, ist deine Einkerkerung hier dann beendet.«
»Was nützt das der Stadt, Ardena? Nützt es der Stadt etwas, einen Jungen in Stücke zu hauen? Was kann der Stadt noch helfen, wenn Udge, die Schlam-pe, sie regiert?«
»Ich sehe, daß du nicht in der Stimmung bist, mir zuzuhören. Dann mußt du die Folgen eben selbst tragen.« Sie wandte sich zum Gehen, aber Brudoer trat vor und legte ihr die Hand auf den Arm.
»Meine Familie? – Geht es ihnen gut?«
»Großartig gerade nicht, Kind. Dein Vater hat seine Stellung verloren und ist jetzt im Steinbruch. Deine Mutter lebt zurückgezogen. Du bist der einzige, der ihnen helfen kann.«
Brudoer neigte sich dicht zur Ardena und flüsterte: »Es macht mir gar nichts aus, in die dritte Zelle gebracht zu werden.« Sie wich überrascht zurück, dann warf sie einen Blick zur Tür.
»Komm herüber zum Licht!« sagte sie. »Ich will mir deinen Rücken ansehen. Du wirst wieder gepeitscht werden, weißt du.« Sie gingen quer durch den Raum zum hohen Fenster, durch das graues Winterlicht hereinfiel. »Was redest du da?« flüsterte sie, als er seine Tunika und sein Untergewand auszog. Sie zuckte zusammen, als sie mit der Hand über die Narben fuhr.
»Es soll einfach so sein«, flüsterte er zurück.
»Du mußt mir sagen, warum.«
»Ich bitte dich um einen Gefallen, Ardena. Bitte besorge mir eine Kopie der Inschrift aus der ersten Zelle – die Buchstaben, die in Streifen um den Raum laufen und keinen Sinn ergeben, sondern nur Buchstaben sind.«
»Wozu?«
»Ich brauche sie.«
»Ich werde sie dir besorgen, wenn du mir sagst, warum du in die dritte Zelle gebracht werden mußt.«
»Ich habe es dir gerade gesagt.«
Die Ardena schob den Jungen weg. »Du bist ein ungezogenes Kind«, sagte sie laut. »Du weigerst dich, klar mit mir zu sprechen. Nun, dann werde ich dich eben deinem Schicksal überlassen, und Threerivers wird sehen müssen, wie es zurechtkommt.«
»Bitte! Die Buchstaben. Und ein wenig Papier für mich. Bitte, Ardena.«
Sie sah ihn an und merkte, daß es ihm sehr ernst damit war. Er nahm sie bei der Hand, Tränen in den Augen. Sie drückte die Hand und lächelte ein wenig.
Dann rief sie die Wache und sagte: »Es hatte keinen Zweck. Er will sich nicht beugen, nicht einmal, wenn man es nur gut mit ihm meint.«
»Ja, Ardena«, bemerkte der Gardist. »Aber du konntest es nur versuchen.«
Sie ließen Brudoer allein, und er setzte sich wieder und schaute die Inschriften an der Mauer an. Craydor tut nichts ohne Grund, davon war er jetzt überzeugt.
Keine Verzierung ist nur eine Verzierung. Alles hat eine Bedeutung.
Aber die beiden restlichen Tage vergingen, und Brudoer hatte bei seinem Studium der Diagramme immer noch nichts herausgefunden. Er wappnete sich, als er die Gardisten kommen hörte, die ihn zu seiner Bestrafung führen sollten.
Die Szene, die er auf der untersten Terrasse erblickte, unterschied sich kraß von der vorhergehenden. Die geschwungenen Mauern waren von Gardisten besetzt, genau wie jede Ecke weiter oben. Alle hatten ihre Bogen gespannt und Pfeile aufgelegt. Die Protektorin stand in ihrem Winterumhang in einem überdachten Pavillon auf der zweiten Terrasse, umringt von den vier Quadrantenrätinnen. Als Brudoer seinen Blick über die Landschaft unter sich schweifen ließ, sah er, daß die Bäume nackt und kahl dastanden.
Eine leichte Schneedecke lag über allem.
Brudoer wurde unten vor das Angesicht der Protektorin gebracht. »Ich glaube, daß dich die Ardena in unangebrachter Freundlichkeit über die Bedingungen deiner Bestrafung informiert hat. Du kannst dich jetzt vor Bival demütigen und deine Reue zum Ausdruck bringen. Dann ist deine Strafe mit der Auspeitschung beendet. Hast du das verstanden?«
»Verstanden? Lächerliche Dinge kann man nicht verstehen, sagt Craydor, du erbärmliche alte Krähe«, gab Brudoer zurück. »Ich bin sicher, unten am Wasser gibt es ein paar tote Fische. Warum fliegst du nicht hinunter und holst sie dir? Und du, Bival, du elender, fauchender Salamander, warum ...« Die Protektorin hatte den Arm gehoben, und die Gardisten knebelten Brudoer.
Die Protektorin gestikulierte mit erhobenen Händen. »Es ist klar, daß wir jemanden, der so feindselig gesinnt ist, in unserer Stadt nicht frei herumlaufen lassen
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