Pelbar 4 Der Fall der Muschel
losgebunden habe, dann kannst du dir von Jamin alle Teile dranmachen lassen.«
Gamwyn blickte prüfend in den grauen Himmel und schützte dazu seine Augen mit den Händen.
Sonnenhochstand war vorbei, und die Arme schmerzten ihm vom Sägen. Jetzt mußte er auch noch eine große Warze auf das Dach bauen, vielleicht bis in die Nacht hinein. Er steckte den Kopf wieder durch das Loch nach unten und studierte die Unterseite des Dachgebälks.
»Was schaust du?«
»Ich hoffe, daß das hier das ganze neue Gewicht aushält.«
»Natürlich. Wir werden es bald verstärken.«
Gamwyn machte sich an die Arbeit, er schnitt und rahmte ein, verzapfte dann die Seitenverkleidung und setzte schließlich das Dach darauf. Glücklicherweise war fast alles Material unten vorgeschnitten worden. Bald fiel der Hagel stetig, und Gamwyn mußte sich mit einem Seil festbinden, um nicht her-unterzurutschen. Von Aufhören wollte Jaiyan nichts wissen. Dann würde Wärme vergeudet, und Hagel und Schmelzwasser könnten hereintropfen, vielleicht sogar auf die Orgel.
Als es dunkel wurde, verlangte Gamwyn eine Lampe und schließlich noch zwei weitere. Im dritten Viertel vor Mitternacht wurde er fertig, warf ein gro-
ßes Tuch über die neue Konstruktion und zurrte es fest. Am Morgen konnte er es dann abnehmen, um seine Arbeit noch einmal zu begutachten, ohne daß ihm Eis oder Schnee dazwischenkamen. Das Dach fühlte sich schwammig an. Kälte und Nässe waren in seinen Körper eingedrungen, und er konnte nicht aufhören zu zittern. Sobald er den Boden erreicht hatte, taumelte er fast ins Innere, wo ihn alte Hände mit einer Decke und einem heißen Getränk in Empfang nahmen und ihn zum Feuer führten.
Nachdem er etwas getrunken hatte und immer noch von Frostschauern geschüttelt wurde, ging er zu seinem Schlafschuppen, um trockene Kleidung anzu-ziehen. Misques Gesicht war gespannt vor Besorgnis.
Als er zum Hauptfeuer zurückkehrte, fror er noch immer. Inzwischen waren alle bis auf Misque zu Bett gegangen. Sie nahm seine Hände und spürte, wie kalt sie waren, dann gab sie ihm noch einen Becher heiße Suppe.
»Ich weiß nicht, wie du das ausgehalten hast.«
»Der Häuptling wollte es doch so.«
»Trotzdem. Ich verstehe es nicht.« Sie drehte ihren Kopf in seinen Händen, betastete seine Backen und rieb sie dann.
»Du hast weiche Hände.«
»Ich habe nicht viel zu tun. Hauptsächlich passe ich auf Jamin auf. Hier gibt es so viele Leute, die alle Arbeit machen. Sie sind anscheinend so glücklich, daß sie sie tun können.«
»Bist du glücklich?«
Sie schaute ihn überrascht an. »Glücklich? Ich ... ich ... Das ist eine unfaire Frage. Was heißt glücklich sein? Ich weiß es nicht.«
»Ich weiß es auch nicht. Es hat etwas damit zu tun, daß man Menschen um sich hat, für die man etwas tun kann, und daß man weiß, sie sind dankbar dafür.
Und Lieben gehört dazu – irgend etwas lieben. Menschen oder Aven – oder Atou, wie Jaiyan ihn nennt.«
»Und das willst du?«
»Ich will zu Hause sein.«
»Du kannst nicht auf deine Narrenfahrt gehen, Gamwyn.« Er schaute sie an. »Aber vielleicht ...«
Wieder nahm sie sein Gesicht in ihre Hände, dann küßte sie ihn, kein kurzer Freundschaftskuß, sondern ein langer, suchender Liebeskuß.
Gamwyn setzte sich überrascht auf, dann überließ er sich dem Kuß, erwiderte ihn und fragte sich dabei: Was mache ich da? Für so etwas bin ich doch zu jung.
Ich will es nicht. Er spürte, wie ihr warmer Atem ihn durchdrang.
Dann setzte sie sich auf. »Vielleicht solltest du doch gehen. Im Frühling. Aber ich ...«
Gamwyn legte sich auf den Steinboden zurück, und sie legte sich neben ihn, barg ihren Kopf an seiner Schulter und legte den Arm um ihn.
»Du hast Mitgefühl für die Hilflosen, nicht?« sagte er schließlich.
»Ja«, sagte sie in seine Schulter hinein. »Ich glaube schon.«
Irgendeine Bedeutung schwebte in der Luft, drang langsam zu Gamwyn durch. Wer war sie, die da von Osten gekommen, unbemerkt durch Peshtakgebiet gezogen, allein hier angelangt war, um sich von Jaiyan als neues, umherirrendes Wesen aufnehmen zu lassen?
»Warum möchtest du dahin zurück – nach Threerivers –, wo man dich so furchtbar behandelt hat?«
»Threerivers? Vor der jetzigen Protektorin war es gar nicht so schlecht. Man hat uns kontrolliert, aber wir waren alle wie eine riesige Familie. Und alles an der Stadt ist so wunderbar gearbeitet. Es ist Pelbarar-beit, und nicht nur das, sondern auf Craydors
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