Pelbar 4 Der Fall der Muschel
Tuscostadt im Fluß verschwand, mit vielen ihrer Menschen, ohne Zweifel auch dem Mädchen Daw, das ihm das Leben gerettet hatte. Die Zerstörung von Jaiyans baufälli-gem Schuppen war ein Unfall gewesen, aber hier galt das nicht. Hier hatte er darauf hingearbeitet. Gamwyn spürte, wie Entsetzen wie die Kälte der Nacht in ihm hochkroch. Er war schuld am Tod Hunderter von Menschen.
Angesichts der Dämmerung und der unverhohle-nen Freude der Siveri verspürte er jedoch Erleichterung. Nim blieb dicht bei Muse, der ernstlich verletzt war, aber lachte, während er immer wieder beschrieb, wie die Siveri in den Wachturm eingebrochen waren und drei verblüffte Nicfad aufspießten, als sie ihn be-drohten.
Als der Morgen kam, zog sich die Flottille wieder zwischen die überschwemmten Bäume am Ostufer zurück und die Sklaven schickten sich an, die Heimreise über Land anzutreten. Sie waren vom Entzug des Rauchs nervöser denn je, aber Nim und seine Männer drängten sie ständig weiter. Die Siveri wollten, daß Gamwyn sie begleitete, aber das lehnte er ab.
Er konnte es nicht erwarten, weiter flußabwärts zu fahren und die letzte Tuscosiedlung am Fluß zu passieren, solange noch Hochwasser herrschte. »Sie heißt High Tower«, sagte ein alter Siveri. »Sie liegt am Westufer. Sie ist nicht so groß wie U-Bend, aber es gibt eine Menge Nicfad dort. Du mußt sehr vorsichtig sein. Schleiche dich bei Nacht vorbei! Bleib zwischen den Bäumen am Ostufer!«
Bald schrien die Siveri, im Schlamm am Ufer stehend, Gamwyn ein Lebewohl zu, während er ein schmales Floß, vier Balken breit, wieder in die Strö-
mung hinausstakte. Sein Herz klopfte heftig vor Angst, aber er stellte seinen Entschluß nie in Frage.
Einmal drehte er sich um und sah, daß die Hauptma-sse der Siveri dem Fluß schon den Rücken gekehrt hatte und durch die grünenden Bäume und die wei-
ßen Frühlingsblüten nach Osten zog.
Gamwyn paddelte und stakte lässig, fischte unterwegs, ohne etwas zu fangen, bis er sich in der Abenddämmerung wieder in die Untiefen zurückar-beitete. Dann zog er einen großen Wels heraus, den er mit dem Messer, das Sagan ihm gegeben hatte, ausnahm und säuberte. Die Tusco hatten es ihm nie abgenommen, weil sie es für einen harmlosen Hals-schmuck hielten.
Gamwyn zog sein Floß auf den Strand und ging, um das Feuer zu verbergen, mit seinem Fisch einen halben Ayas vom Fluß weg. Er aß, soviel er konnte, den Rest trocknete er auf kleiner Flamme. Dann tastete er sich durch den dunklen Wald zum Fluß zu-rück. Er wußte, daß er noch weit von High Tower entfernt war, deshalb stakte er wieder in die Strö-
mung hinaus und ließ das Floß treiben. Er fühlte sich einsam und elend.
Nach einiger Zeit glaubte er, etwas zu hören – dann rief jemand, eine Frau. Es war ein Jammerlaut. Gamwyn legte sich flach auf sein Floß und verhielt sich still. Vielleicht hatte sich einer von den Siveri verirrt.
Nein. Er erkannte den verschliffenen Dialekt der Tusco. Mit leisen Ruderschlägen fuhr er näher heran.
Im schwachen, von vorüberziehenden Wolken immer wieder verdunkelten Mondschein sah er zwei Gestalten auf einem Floß aus Treibholz, die eine saß da und rief, die andere lag. Die sitzende beugte sich über sie und murmelte etwas. Gamwyn ruderte lautlos näher, ausgestreckt auf seinem Floß liegend, mit heftig klopfendem Herzen.
»Nein, Mutter, kein Essen. Ich kann nicht fischen.
Wir kommen nach High Tower. Keine Angst. Wir schaffen es.«
Es war Daw. Gamwyn war ganz sicher. Zuerst wollte er im Dunkeln unbemerkt vorbeifahren. Aber er verdankte ihr sein Leben. Sein Atem ging schnell vor Angst, aber schließlich rief er leise über das Wasser: »Daw!«
Sie stieß einen kleinen Schrei aus, richtete sich auf, verlor fast das Gleichgewicht und setzte sich wieder.
»Wer? Wer du? Im Namen von Roara, dem Geist der Geister, hilf uns!«
»Gamwyn. Ich bin der Pelbar. Der, den du am Brunnen gerettet hast.«
Daw hob die Hände an den Kopf, als Gamwyn sich aufsetzte und näher heranruderte. »Nein. Was willst du uns tun? Nein. Geh weg!«
»Tun? Nichts. Keine Angst. Ich habe ein wenig getrockneten Fisch.«
»Fisch?«
»Nicht so furchtbar viel. Genug, daß du und deine Mutter etwas essen können. Wir werden noch mehr fangen.«
Sie sagte nichts, als sein schmales Floß knirschend gegen das ihre stieß, das sich als Stück des weißen Turms herausstellte. Auf einer Seite waren immer noch einige Knochen befestigt.
Gamwyn nahm ein Seil und band die
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