Pelbar 7 Das Schwert der Geduld
beruht sie vielleicht auf falschen Vor-aussetzungen, Protektorin.«
»Nur«, konterte Dessic, »wenn man annimmt, daß zwar bei den Schreibern von Stels Buch, nicht aber bei Pel, prophetischer Einfluß von oben vorhanden war.
Wir glauben seit langem, daß Pel eine Prophetin war, und ihre Leistungen scheinen diese Bezeichnung mehr als ausreichend zu rechtfertigen.«
»Protektorin, ich bestreite diesen Punkt ja gar nicht, ich glaube nur, daß der Versuch, Stels Buch zu unterdrücken, aus der Furcht entspringt, die verlangt, daß unser Denken von anderen geleitet werden muß und nicht frei zu einem eigenen Urteil gelangen darf.«
»Aber Protektorin, keine Gesellschaft, die so aufgebaut ist, wie es die unsere nun schon so lange war, kann eine derartig subversive Erkundung wirklich zulassen«, sagte Dessic. »Wir brauchen die Einheit der Ordnung.«
»Das mag für die alten Zeiten gegolten haben, als wir uns von allen anderen Völkern abgeschlossen hatten, Protektorin. Aber jetzt trifft es nicht mehr zu.
Die Ideen schweifen jetzt so frei umher wie ziehende Wildgänse, und sie können nicht ausgesperrt werden, es sei denn durch Herrschaft und Unterdrückung.«
Die Debatte ging noch einige Zeit in gemäßigten, aber entschiedenen Worten weiter, der ganze Rat lauschte und stellte schließlich beiden Kontrahentin-nen Fragen. Dessic las einen Abschnitt aus Stels Buch vor, in dem die totale Zerstörung einer ganzen Stadt, sogar ihrer Haustiere, als etwas gutgeheißen und ge-priesen wurde, was Aven wohlgefällig sei, obwohl die Tat eindeutig als Eroberung durch einen plün-dernden Stamm erschien. »Solch ein Abschnitt könn-te«, bemerkte sie, »genausogut als Anregung aufge-faßt werden, den Überfall der Tantal auf Nordwall in meiner Kindheit zu rechtfertigen. Ich kann nicht einsehen, wieso solches Material für theologische Studien lohnend sein soll.«
Dann nahm der Rat selbst die Debatte auf und bezog den gegenwärtigen Konflikt mit dem Osten und der Invasionstruppe der Innanigani und die schwä-
chenden Auswirkungen mit ein, die eine starke, innere Spannung darauf haben könne.
Als schließlich die Wintersonne den Himmel im Westen beim Übergang ins kalte Dämmerlicht kurz in ein dumpfes Rot tauchte, beraumte Alance eine Pause bis zum ersten Nachtviertel an und trug der Versammlung auf, sorgfältig zu bedenken, was man ge-hört habe. »Die Entscheidung liegt wohl bei mir, wie es aussieht. Ich fürchte mich davor und werde vorher um eine beratende Abstimmung bitten, deren Aus-gang nur ich erfahren werde. Ich fordere die Ab-stimmenden auf, ihrer Entscheidung eine Stellungnahme beizufügen. Ich werde die Sache erwägen und euch meine Beschlüsse morgen früh mitteilen.« Die Gardisten an ihrer Seite klopften mit ihren Stäben auf den Boden, und alle standen auf, während sich die Protektorin, mit nur einem etwas sonderbaren Blick zurück, in ihr Privatgemach begab.
Die übrigen Ratsmitglieder marschierten außergewöhnlich schweigsam hinaus.
Nach der Abendsitzung, die nur kurz und zum größten Teil der Abstimmung gewidmet war, zog sich die Protektorin wieder zurück und ließ sich von ihrem Diener eine Kanne Tee bringen. Die Versammelten sahen ihr mit ernsten Gesichtern nach, denn alle wußten, daß sie einen großen Teil der Nacht oder auch die ganze damit zubringen würde, über ihren Entschluß nachzudenken. Sie wußten auch, daß nicht nur unmittelbar die Stadt Pelbarigan von ihrer Entscheidung stark betroffen sein würde, sondern daß sich auch die Beziehungen der Stadt zur Föderation ändern würden. Es war ein kritischer Zeitpunkt.
Alance war eine ziemlich junge Protektorin, die erst in diesem Sommer als Ersatz für Sagan gewählt worden war, die Mutter Stels, welcher die Krise ausgelöst hatte, indem er von seiner Expedition in den Norden und Osten das Buch mitbrachte.
Alance stützte den Kopf in die Hand, überlas zuerst alle Stellungnahmen und legte sie auf den schlichten Holztisch zwischen zwei Öllampen. Dann las sie sie noch einmal und lächelte vor sich hin, wenn sie manchmal die Persönlichkeit der Schreiber sowie ihre Handschrift erkannte. Als nächstes nahm sie die Stimmzettel und teilte sie in zwei Stapel, wobei sie zu ihrem Leidwesen feststellte, daß sie zahlenmäßig fast gleich waren. Nun nahm sie sich jeden Stapel einzeln vor und sortierte ihn danach, ob die Antworten überlegt oder lediglich von Vorurteilen bestimmt waren. Wieder stellte sie fest, daß die Ergebnisse ziemlich gleich
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